Der kleine Nick macht Ferien

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Der zweite Film nach den Kult-Kinderbüchern von René Goscinny und Jean-Jacques Sempé übertrifft den Erstling noch in der Perfektion der Ausstattung und einem generations-übergreifenden Humor. Vielleicht gerade deshalb, weil der Erfolgsduck der berühmten Vorlage nicht mehr so schwer lastet und er sich mit sommerwarmer Leichtigkeit der nie dagewesenen, aber immer irgendwie erinnerten kleingeblümten Unbekümmertheit dieser 60er-Jahre-Welt hingibt. Nicht zuletzt ist die familienfreundliche Komödie auch ein ästhetischer Genuss, begegnet man doch all den Prototypen der Zeit der gepunkteten Badeanzüge wieder einschließlich der Kinohelden, die Laurent Tirard geprägt haben und die er mit Charme und viel Witz zitiert.

Webseite: www.der-kleine-nick-macht-ferien.de

Les Vacances du Petit Nicolas
Frankreich 2014
Regie: Laurent Tirard
Drehbuch: Laurent Tirard,Grégoire Vigneron
Darsteller: Mathéo Boisselier, Kad Merad, Valérie Lemerciert, Domenique Lavanant, Luca Zingaretti
Verleih: Wild Bunch, Vertrieb: Central
Kinostart: 2.10.2014
 

FILMKRITIK:

Der kleine Nick ist wieder da und das ist gut so. Diesmal steht er zusammen mit hunderten seiner Art beim letzten Appell auf dem Schulhof und läßt die hohlen Worte des Direktors über sich ergehen, denn sie führen direkt zu einem Ziel: Ferien.
Und dann sehen wir den kleinen Nick an der Hand seiner  Mutter (Valérie Lemerciert) durch die Stadt schlendern. Die Mama ist schick, das Wetter ist herrlich und die Welt so heil, wie sie nur sein kann. Da macht es auch gar nichts, dass zuhause der übliche Streit losbricht: Mama will in die  Berge, Papa (Kad Merad) ans Meer, schließlich werden es, wie jedes Jahr, die Berge … Nein, diesmal kommt es tatsächlich anders und die Familie fährt gemeinsam mit gefühlten 100 Millionen anderer Franzosen ans Meer. Der Wermutstropfen: die Schwiegermama muss mit und das ist eine echte Herausforderung für das männliche Familienoberhaupt, das noch nie deren Ansprüchen genügt hat.
 
Trotz Stau und anderer Hindernissse gelangt man dennoch ans Meer. Dort stehen zwar statt drei nur zwei der gebuchten  Zimmer zur Verfügung, was bedeutet, dass ab und an einer in der Badewanne schlafen muss, um der schnarchenden Oma zu entfliehen. Trotzdem, alles ist schön und wunderbar und sieht genauso aus wie auf den Postkarten am Kiosk. Und so erlebt der kleine Angestellte die ganz großen Ferien am Meer, wenn er auch einige Tage damit beschäftigt ist zu überlegen, ob er und wie er am angemessensten eine Urlaubskarte an seinen Chef formuliert, was Nicks Mutter natürlich maximal nervt, denn welche Frau will schon einen Mann haben, der seinem Chef in den A..., na Sie wissen schon.
 
Den kleinen Nick (Mathéo Boisselier) berührt das alles wenig. Auch wenn es ihm schwer gefallen war, sich zuhause von seiner Freundin Marie-Hedwig für die ganzen Ferien zu verabschieden, tut er sich schnell mit einer handvoll gleichaltriger Jungs zusammen, von denen einer so eigenwillig ist wie der andere, der schrägste davon Hühnerbrüh, der alles isst, was ihm vor den Mund kommt, vom Schlangenei über Gummischuhe bis hin zu glitschigen Austern.
Die Welt der Jungs ist eine  ganz eigene, und Nick genießt die neue Freiheit außerhalb des Mikrokosmos, dem er zuhause  mit allen kleinen und großen Streitigkeiten sonst ausgesetzt ist. Hier ist alles frei und leicht und ganz genau so wie auf den Bildern, die das Wort Ferien in der kollektiven Erinnerung der Eltern- und Großelterngeneration auslöst.
 
Bis Isabelle auftaucht. Dann wird es eng für Nick, denn deren Vater entpuppt sich als ehemaliger Schulkamerad seines Vaters. Man feiert freudiges Wiedersehen und bei der Gelegenheit gleich mit, dass die „süssen Kleinen“ sich offenbar ganz prächtig verstehen, was bei Nick die Phantasie einer Zwangehe heraufbeschwört, die er mit seinen Freunden auf sehr originelle Weise zu verhindern weiß. Es ist wie ganz großes Kino, wenn aus der Dusche statt Wasser braune Brühe quillt, weil die Kinder die Rohre vertauscht haben, und Isabells Mutter wie bei Hitchcocks „Psycho“ um ihr Leben schreit. Dabei ist Isabelle eigentlich ganz nett, um nicht zu sagen ausgesprochen süß und witzig und überhaupt, sodass Nick mit Hilfe seiner Jungs mit einem nächsten Streich versuchen muss,  Isabells  Familie nun doch noch am Ort zu halten.
Als dann noch ein italienischer Filmregisseur, mit allen nur denkbaren Klischees der Branche ausgestattet, mit seinem Team den Strand aufmischt und Nicks biedere Mama plötzlich wie die Auferstehung der jungen Bardot im Liegestuhl fläzt und ihren Mann zum Cocktailholen schickt, sind die 60er Jahre cineastisch vollends auferstanden und Nicks Vater hat ein echtes Problem.
 
Dem Film gelingt der Spagat zwischen den überdrehten Dramen der Eltern und den kleinen, wahren (Liebes)geschichten der Kinder mit eleganter Leichtigkeit. Denn auch wenn die Kinder die Beziehungsmuster ihrer Eltern manchmal kopieren, haben sie darüber hinaus auch ganz eigene Entwürfe zu bieten. Die Kommentarebene, auf der Nick über diese seltsame Welt, in der er sich zurechtzufinden versucht, reflektiert, machen einen großen Teil des Zaubers aus.  Und so schauen wir mit dem liebenden Blick des Jungen auf die kleingeblümte Bürgerwelt seiner Eltern und entdecken hinter ihren Fassaden noch eine ganze Menge Schönheit.
 
Wie es ausgeht? Natürlich gut, was sonst.  Tirard gelingt am Ende eine wunderbare Liebeserklärung an den Falschen, der eigentlich der Richtige ist. In einem finalen Kostümball persifliert er die ganze aufgedrehte Welt des Films mit genau dem Maß an Ironie, das es braucht, um diese lieben zu können.

Bei allem Klamauk wird eine Geschichte von den Wirrnissen der Liebe erzählt, wie sie Erwachsene und auch Kinder schon erleben können. Warmherziges, witziges und ästhetisch vollendetes Familienkino!

Caren Pfeil