Der Mann der die Welt aß

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Er ist schlecht drauf, aggressiv, schnauzt seine Mitmenschen an und betont dennoch stets, er sei nach Jobverlust und Trennung „endlich frei und am Ziel angelangt“. Diese Widersprüchlichkeit offenbart sich schon früh in Johannes Suhms Drama „Der Mann der die Welt aß“. Es geht um einen Mann, der alles zerstört, was ihm früher wichtig war. Der stringent aus seiner Sicht erzählte, eindringlich gespielte Film fordert den Zuschauer zum exakten Hinsehen auf. Er bietet bei genauerer Betrachtung eine beachtliche Themenfülle, wobei nicht jeder Thematik gleichviel Sorgfalt und Bedeutung zukommt

Website: www.dermannderdieweltaß-derfilm.de

Deutschland 2020
Regie: Johannes Suhm, Lena Lessing
Drehbuch: Nis-Momme Stockmann
Darsteller: Johannes Suhm, Hannes Hellmann, Konrad Singer, Maja Schöne, Max Mauff
Länge: 80 Minuten
Verleih: Barrieri Filmproduktion
Kinostart: 28.04.2022

FILMKRITIK:

Im Mittelpunkt des Filmes steht ein Mann, der radikal mit seinem bisherigen Leben bricht und alles hinter sicher lässt – ohne Rücksicht auf Verluste. Er wolle endlich Freiheit. Um das zu erreichen verletzt er Menschen, die ihm viele Jahre lang sehr nah standen und ihm einst alles bedeuteten. Darunter seine Familie, die er verlassen hat. Den Unterhalt für die Kinder? Den zahlt der Mann nur sporadisch. Oder sein kranker Bruder. Mit ihm will er so wenig wie möglich zu tun haben. Immerhin: Als der alleinstehende Vater, dessen Demenz sich verschlechtert, Hilfe braucht, nimmt der Mann ihn bei sich auf. Doch das Zusammenleben erweist sich als schwierig. Es kommt zum Generationenkonflikt, geprägt von differierenden Vorstellungen und enttäuschten Erwartungen.

„Der Mann der die Welt aß“ beruht auf dem vielfach prämierten, gleichnamigen Theaterstück des Schriftstellers Nis-Momme Stockmann, der auch das Drehbuch für die filmische Adaption verfasste. Johannes Suhm, Regisseur und Hauptdarsteller, hat die Rolle des mit sich und seinem Umfeld hadernden Protagonisten verinnerlicht. Dauernörgelnd und notorisch schlecht gelaunt – so präsentiert sich die Hauptfigur in diesem, mit geringen finanziellen Mitteln realisierten Drama, das in einem Zeitraum von einem Jahr entstand.

Suhm verkörpert seine anspruchsvolle Rolle nachdrücklich und glaubhaft, auch wenn es natürlich nicht leicht ist so etwas wie Sympathie für diese ambivalente aber hochinteressante Figur zu entwickeln. Der Mann, der den gesamten Film über namenlos bleibt, heuchelt seiner Ex-Frau Interesse an ihrem Leben vor, will insgeheim aber nur an Geld für seine Selbstständigkeit kommen. Genauso verfährt er mit seinem Bruder. Bei einem Besuch der Ex-Frau verlässt er einmal das Haus zur Hintertür kurz bevor die Kinder nach Hause kommen, damit er diesen nicht begegnen muss. Diese Szenen sagen viel über ihn: Er weicht schwierigen Situationen aus, stellt sich seiner Verantwortung nicht und offenbart narzisstische Züge. Die wahren Gründe für sein Verhalten aber bleiben im Dunklen, man kann nur mutmaßen, was ihn so herablassend und verbittert werden ließ.

Die Herangehensweise, dass hier sehr viel im Vagen und Unklaren bleibt, hat durchaus ihren Reiz. „Der Mann der die Welt aß“ lebt, gerade in den Dialogen, oft von Andeutungen und subtilen Bemerkungen der Charaktere. Sie zwingen den Betrachter dazu sich Gedanken zu machen und hinter die Fassade zu blicken. Wer dazu bereit ist bemerkt, dass die thematische Bandbreite, die der Film besitzt, beachtlich groß ist. Suhm und Stockmann behandeln den beständigen Druck der Leistungsfähigkeit in einer kapitalistischen, gewinnorientierten Gesellschaft. Den Umgang mit Trennung, dem Älterwerden und der Midlife Crisis. Das Spannungsverhältnis zwischen Eltern und Kindern und nicht zuletzt das Thema Krankheit. Die Demenz des Vaters nimmt, im Gegensatz zu den anderen Inhalten, jedoch etwas viel Raum ein.

Auch sind einige Figuren schablonenhaft gezeichnet und agieren lediglich als Stichwortgeber. Man hätte gern mehr über sie erfahren. Darunter die Ex-Frau, deren Verhalten nicht immer nachvollziehbar erscheint, oder auch den besten Freund Udo. Zumeist schildert „Der Mann der die Welt aß“ das Geschehen konsequent aus der Perspektive der Hauptfigur – auch visuell. Die unsteten, ungeschliffenen Handkamerabilder erzeugen eine große Nähe zu dem verschlossenen Choleriker, der den Kontakt zu sich und der Welt verloren hat.

Björn Schneider