Der Nobelpreisträger

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Ein gefeierter Schriftsteller kehrt in seine Heimat, die argentinische Provinz zurück, um dort als Ehrenbürger ausgezeichnet zu werden. Gastón Duprat und Mariano Cohn erzählen die Begegnung zwischen dem überheblichen Nobelpreisträger und den einfältigen Einwohnern seines Heimatdorfs als Satire, die zwar scharfsinnig mit Kulturindustrie und provinzieller Ignoranz abrechnet, dabei aber allzu sehr die zynische Haltung ihres Protagonisten adaptiert.

Webseite: www.cineglobal.de

Argentinien, 2016
Regie: Gastón Duprat, Mariano Cohn
Buch: Andrés Duprat
Darsteller: Oscar Martínez, Dady Brieva, Andre Frigerio, Nora Navas
Länge: 118 Minuten
Verleih: Cine Global
Kinostart: 02. November 2017

AUSZEICHNUNGEN:

Gewinner der Publikumspreises auf dem Fünf Seen Filmfestival 2017
 
Filmfestival Venedig: Darstellerpreis für Oscar Martinez

GOYA 2017: Bester iberoamerikanischer Film

FILMKRITIK:

Daniel Mantovani ist ein gefragter Mann. Wie selbstverständlich werden ihm Einladungen zu Vorlesungen, Interviewanfragen, Drehbuchverträge und Auszeichnungen geschickt, die er ebenso selbstverständlich abgelehnt. Einzig die höchste Auszeichnung nimmt der Starschriftsteller in der Eröffnungssequenz entgegen: den Literaturnobelpreis. Statt der üblichen Dankesworte folgt auf die Übergabe des Preises jedoch eine Rede, in der Daniel an erster Stelle die eigene Kanonisierung beklagt, die er als seinen künstlerischen Untergang begreift. Als Gegengift für die institutionelle Verkanonisierung der eigenen Kunst sucht Daniel einen künstlerischen Ausbruch, eine neue Inspiration für das eigene Schaffen. Dafür kommt ihm eine Einladung in sein Heimatdorf Salas gerade recht. So kehrt der Nobelpreisträger in die argentinische Provinz zurück, die er seit seiner Jugend nur in seinen Romanen aufgesucht hat.
 
Die Kluft, die sich in den Jahren von Daniels Abwesenheit zwischen ihm und seiner Heimat aufgetan hat, dient dem Regieduo Gastón Duprat und Mariano Cohn als Fundament ihrer Satire. Provinzielle Einfältigkeit trifft auf kulturelle Großspurigkeit und entwickelt einen Humor, der zwischen überhöhter Farce und trockener Boshaftigkeit changiert, sich dabei aber immer lustvoll seinen Sinnbildern hingibt. Und von denen gibt es reichlich: Auf dem Löschzug der lokalen Feuerwehr wird Daniel neben der lokalen Schönheitskönigen präsentiert, in seiner Laudatio in eine Reihe mit Diego Maradona, Lionel Messi und dem Papst gestellt und schließlich als reichlich deformierte Büste im Dorfzentrum als Denkmal verewigt. Hinter der ausgestellt trashigen und mit Provinzglamour inszenierten Fassade begegnen die Einwohner von Salas Daniel jedoch mit Feindseligkeit und Verachtung. Für die Gemeinde von Salas ist Daniel Mantovani ein Nestbeschmutzer. Jemand, der seinen Erfolg aufbaut, indem er die Heimat auf dem Hackblock der literarischen Weltöffentlichkeit präsentiert. Dem Vorwurf, den der Film sukzessive in absurd komischen Situationen herausarbeitet, begegnet Daniel mit eben der intellektuellen Überheblichkeit, die bereits in seiner Nobelpreis-Dankesrede anklang.
 
Duprat und Cohn lassen keinen Raum für die Begegnung der beiden Welten. Es ist immer die Kollision, die das Regieduo anstrebt. So ist „Der Nobelpreisträger“ in seiner satirischen Schärfe stets unerbittlich genug, um jede nostalgische Fantasie von Heimat und Verbundenheit im Keim zu ersticken. Der Starschriftsteller kann zwar eine Träne vergießen, wenn ihm eine dilettantische Video-Collage seiner Selbst präsentiert wird, nimmt aber am Schicksal der alten Freunde, die er im Laufe des Films trifft, nur soweit teil, wie es für die eigene Inspiration nötig ist.
 
Wie Daniel die eigene Heimat als emotionalen Bezugspunkt ausklammert und für die Kunst ausschlachtet, gibt der Film im pseudo-dokumentarischen Digital-Look wieder, der in glatter Tiefenschärfe Heimvideo-Sequenzen mit feinsäuberlich komponierten Symbolbildern verschachtelt. Dabei treten weltbürgerliche Arroganz und dörfliche Ignoranz genau so gegeneinander an, wie Fiktion und Vergangenheit. Der Nobelpreisträger hat sich so weit von seiner Vergangenheit und seinem früheren Leben in Salas entfernt, dass für ihn nur noch als Fiktion zu existieren scheint. Jeder alte Freund, jede ehemalige Geliebte, jede Studentin die ihn anhimmelt, wird für das eigene Schaffen ausgewrungen. Protagonist und Film scheinen gleichermaßen von diesem Gestus infiziert. Doch so scharfsinnig dieser im Drehbuch angelegt ist, so sehr verliert er sich in einer bissigen Abrechnungslust, die einen ebenso fahlen Nachgeschmack hinterlässt wie ein ungewollter Nobelpreis.
 
Karsten Munt