Oberflächlich betrachtet verläuft das Leben im Sommer besonders leicht, doch die Leichtigkeit verbirgt oft Abgründe. Auch im Leben des jung verstorbenen Cesare Pavese, der 1940 den Roman veröffentlichte, der nun als lose Vorlage für Laura Luchettis „Der Schöne Sommer“, ein Coming-of-Age-Film, der am Ende vor allem durch seine schöne Oberfläche überzeugt.
Der schöne Sommer (La bella estate)
Italien 2023
Regie: Laura Luchetti
Buch: Laura Luchetti, nach dem Roman von Cesare Pavese
Darsteller:Yile Yara Vianello, Deva Cassel, Nicolas Maupas, Alessandro Piavani, Adrien Dewitte Cosima Centurioni,
Länge: 112 Minuten
Verleih: Cinemien
Kinostart: 19. September 2024
FILMKRITIK:
Italien, im Sommer 1938, Mussolini ist an der Macht, der Krieg aber noch Zukunftsmusik. Vom Land ist die junge Ginia (Yile Yara Vianello) in die Metropole Turin gezogen, arbeitet als Schneiderin und träumt davon, selbst Kleider zu entwerfen. Zusammen mit ihrem Bruder Severino (Nicolas Maupas) teilt sie sich eine Wohnung und verbringt ihre Freizeit vor allem mit seinen spießigen Freunden.
Bis eines Tages Amelia (Deva Cassel) auftaucht, die all das zu sein scheint, was sich Ginia erträumt. Sie verkehrt mit angehenden Künstlern, arbeitet gelegentlich als Aktmodell, ist ein Freigeist. Bald wird Ginia Teil dieser Welt, lässt sich von den Künstlernaturen verführen, zunächst zu ersten Gläsern Absinth, bald zu eher enttäuschendem Sex mit einem Maler, der nur sein eigenes Vergnügen im Sinn hat.
Hin und her gerissen ist Ginia, zwischen ihrem Verlangen, so zu sein wie Amelia und dem Wunsch, mit Amelia zusammen zu sein. Ein Verlangen, das in der konservativen italienischen Gesellschaft der Zeit, selbst in der scheinbar progressiven Welt der Künstler, für Probleme sorgt.
Einen etwas modernen Blick wirft die italienischen Regisseurin Laura Luchetti auf die Welt der späten 30er Jahre, beschreibt homosexuelles Verlangen, emanzipierte Frauen, die mehr der modernen Welt entsprungen scheinen, als der italienischen Vorkriegsgesellschaft. Der Reiz, einen Film im Jahre 1938 anzusiedeln, scheint weniger inhaltlich, als ästhetisch begründet zu sein, bietet er durch die Möglichkeit, eine vergangene Zeit zu evozieren und in schönen Oberflächen zu schwelgen.
Womit nicht zuletzt die beiden Hauptdarstellerin Yile Yara Vianello und Deva Cassel – Tochter von Vincent Cassel und Monica Belluci – gemeint sind, die Luchetti und ihr Kameramann Diego Romero Suarez Llanos in warmes, weiches Licht tauchen. Hinter die Oberfläche zu blicken gelingt allerdings nur selten, meist bleiben sie und die anderen Akteure kaum mehr als schöne Figuren, die sich in schöner Umgebung anschmachten und nach einem Sinn im Leben suchen.
Von den sich anbahnenden Verwerfungen der italienischen Gesellschaft, dem Einfluss der faschistischen Politik Mussolinis, des sich anbahnenden Krieges ist kaum etwas zu spüren, mehr als ein Hintergrund sind die späten 30 Jahre nicht. Schön anzusehen ist das, ansprechend gefilmt und ausgestattet, aber am Ende doch vor allem schöner Schein. Zwischen Ausstattungsfilm und moderner Coming-of-Age-Geschichte bewegt sich „Der schöne Sommer“, der kaum etwas von der Schärfe transportiert, die die Romane Cesare Paveses auszeichnet.
Michael Meyns