Der seidene Faden

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Im weitesten Sinne ein romantischer Film ist „Der seidene Faden“, doch natürlich inszeniert ein perfektionistischer, manierierter Regisseur wie Paul Thomas Anderson nicht einfach eine Liebesgeschichte. Die Beziehung zwischen einem Schneider und seiner Muse, die Anderson hier auf stilistisch brillante Weise ausbreitet, ist schwer zu fassen und entwickelt sich bald zu einer sadomasochistischen Hassliebe.

Webseite: www.facebook.com/SeideneFaden

Phantom Thread
USA 2017
Regie & Buch: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Daniel Day Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville, Camilla Rutherford, Gina McKee, Brian Gleeson, Julia Davis
Länge: 130 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 1. Februar 2018

PRESSESTIMMEN:

Ein Gift zum Genießen (...) ein köstlicher Beziehungsfilm.
Spiegel Online

FILMKRITIK:

Im London der 50er Jahre ist Reynolds Woodcock (Daniel Day Lewis) ein Star. Für königliche Hoheiten, Schauspielerinnen und andere Berühmtheiten entwirft der Schneider ausgefallene Kleider, die er von einer Riege Näherinnen in einem feudalen Haus herstellen lässt. Dort lebt er zusammen mit seiner Schwester Cyril (Lesley Manville) in einer symbiotischen Beziehung, die kaum Platz für eine andere Person lässt, erst recht nicht für eine andere Frau.

Insofern pflegt der eingefleischte Junggeselle wechselnde Affären mit jungen Frauen, die eine Zeitlang seine Muse sind, bis sie ihn nerven und abgeschoben werden. Gerade ist die letzte Gespielin des Hauses verwiesen worden, da fährt Reynolds zu seinem Landsitz, frühstückt – und lernt die Kellnerin Alma (Vicky Krieps) kennen. Schnell ist klar, dass die junge Frau mit dem gleichermaßen offenen, naiven wie verführerischen Blick, seine Muse werden wird. Schon nach dem ersten gemeinsamen Abendessen ahnt Alma jedoch, auf was sie sich hier einlässt: Statt eines Kuss oder gar Sex, lässt sie Reynolds einen Entwurf anprobieren, benutzt sie als Model, als Inspiration.

Bald ist Alma zwar Teil des Woodcockschen Hausstandes, doch ebenso schnell ist Reynolds irritiert von dem jungen Mädchen, dass sich als wesentlich eigensinniger erweist, als er es gewohnt ist. Doch gerade das sich Alma nicht so leicht ummodeln lässt, wie ihre Vorgängerinnen, löst in Reynolds eine besondere Faszination aus.

Toxische Männlichkeit ist ein aktuell vielgebrauchter Begriff, der im Zuge von #metoo, den fast täglichen Berichten über weitere Fälle sexuellen Missbrauchs fällt, um das problematische Machtverhältnis von Männern und Frauen zu beschreiben. Auch wenn nun Paul Thomas Andersons Film in den 50er Jahren spielt, ist er doch ein durch und durch zeitgemäßer Film. Denn die von Daniel Day Lewis in seiner angeblich letzten Rolle gespielte Figur, ist ein typischer Machtmensch, besser ein Machtmann, der erwartet, dass sich die ihn umgebenden Frauen seinen Wünschen gemäß verhalten. Zwar ist er auch charmant, fraglos brillant, dazu gutaussehend und eloquent, doch Frauen betrachtet er nicht als gleichberechtigt, sondern als Wesen, die unterschiedliche Rollen einnehmen sollen.

Allein seine Schwester Cyril respektiert er in Ansätzen wirklich als Mensch, seine wechselnden Musen dagegen sind dazu da, von ihm manipuliert zu werden, sich seinen Wünschen anzupassen, modelliert zu werden. An Pygmalion mag man hier denken, noch mehr aber noch an Hitchcock, der nicht nur in „Vertigo“ oft Männer zeigte, die Frauen benutzten und zu formen suchten.

Das nun Hitchcock selbst ein Mann war, der Schauspielerinnen seinem Willen unterwarf, ist eine Ironie der Filmgeschichte, die Anderson auf eine Weise fortsetzt, von der schwer zu sagen ist, ob sie ihm bewusst ist. Denn so kalt und manipulativ wie die Figuren der letzten Anderson-Filme sind - der ebenfalls von Day Lewis gespielte Daniel Plainview in „There will be Blood“ etwa, oder der Sektenführer in „The Master“ - so ist auch Anderson ein so perfektionistischer Regisseur, dass seine Filme inzwischen immer wieder drohen, zu leblosen Versuchsanordnungen zu werden.

Brillant gefilmt, makellos ausgestattet, voller feiner Referenzen an die Filmgeschichte ist auch „Der seidene Faden“, doch angenehm ist der Aufenthalt in der Welt von Reynolds Woodcock nicht. Denn nicht nur der Schneider erweist sich schnell als manipulativer Charakter, auch seine neue Muse Alma ist nicht ein Spielball, sondern ein aktiver Part in einer zunehmend sadomasochistischen Beziehung, in der zwei krankhafte Gestalten aufeinandertreffen, die sich verdient haben. In ihren Abgründen faszinierend ist es, dabei zuzusehen, wie sich diese beiden Figuren benutzen und brauchen, ein angenehmes Kinovergnügen ist es allerdings nicht.

Michael Meyns