Der Seidenfächer

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Im Alter von sieben Jahren werden zwei Freundinnen zu „Laotongs“, zu Schwestern im Geiste. Man bricht ihre Füße, zwängt sie in kleine Schuhe und erzieht sie im Geist einer dem Mann stets untergebenen Dienerin. Ihr Schicksal beschreibt nur eine von zwei eng miteinander verwobenen Geschichten, die in der Bestseller-Verfilmung „Der Seidenfächer“ vom heutigen Shanghai in das uns fremde China des 19. Jahrhunderts führen. Unter der Regie von Wayne Wang („Smoke“) entstand so ein emotional packendes Portrait starker Frauen, das neben seiner exotischen Kulisse auch einen Gastauftritt von Hollywood-Star Hugh Jackman anzubieten hat.

Webseite: www.derseidenfaecher.senator.de

OT: Snow Flower and the Secret Fan
CHN/USA 2011
Regie: Wayne Wang
Drehbuch: Angela Workman, Ron Bass, Michael K. Ray nach dem Roman von Lisa See
Kamera: Richard Wong
Musik: Rachel Portman
Darsteller: BingBing Li, Gianna Jun, Vivian Wu, Hugh Jackman
Laufzeit: 104 Minuten
Kinostart: 28.6.2012
Verleih: Senator

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Es sind zwei Geschichten aus zwei unterschiedlichen Welten. Auf der einen Seite steht das moderne China mit seiner Geschäftstüchtigkeit, seiner westlichen Prägung und Hektik, auf der anderen ein Land, in dem von Generation zu Generation überlieferte Traditionen den Alltag und das Leben der Menschen bestimmen. Zwischen diesen beiden Chinas, welche in Wayne Wangs Bestseller-Verfilmung „Der Seidenfächer“ zueinander finden, liegen fast zwei Jahrhunderte. Während Nina (BingBing Li) und Sophia (Gianna Jun) im heutigen Shanghai versuchen, sich trotz ihres stressigen Jobs und komplizierter Beziehungen nicht aus den Augen zu verlieren, werden die Mädchen Snow Flower und Lily von einer Heiratsvermittlerin zu „Laotongs“ ernannt, zu Schwestern im Geiste, die fortan über eine nur von Frauen erlernte Geheimschrift miteinander kommunizieren. Noch in Kindertagen werden ihnen die Füße gebrochen, wie es das damalige Schönheitsideal verlangte. Gleichzeitig sollen die winzigen Lotusfüße einem späteren Ehemann Unterwerfung und Gehorsam signalisieren.

Erst ein tragisches Ereignis führt beide Episoden schließlich zusammen. Sophia liegt nach einem schweren Fahrradunfall im Krankenhaus, wo Nina sie besucht. Zuvor hatten sich die besten Freundinnen schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Auch deswegen macht sich Nina nun schwere Vorwürfe. In Sophias Habseligkeiten entdeckt sie ein ihr bislang unbekanntes Manuskript. Darin erzählt Sophia die Geschichte von Snow Flower und Lily, deren bedingungslose Freundschaft beide Frauen für immer verbindet.

Die Doppelung der Figuren – jeweils verkörpert von BingBing Li und der Koreanerin Gianna Jun – lädt förmlich dazu ein, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Geschichten zu suchen. Dabei liegen die Parallelen auf der Hand. Auch wenn sich Chinas Gesellschaft gewaltig verändert hat, wenn jetzt Frauen wie Nina grundsätzlich Karriere machen können, so ist eine echte Gleichberechtigung nur selten spürbar. Gerade auf dem Land, wo Chinas Ein-Kind-Politik immer noch dazu führt, dass Familien ihre Töchter abgeben oder sogar töten, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Eine Metropole wie Shanghai überdeckt diese Realität hingegen mit ihrer modernen Skyline und hektischer Betriebsamkeit. Immer wieder wandelt Wangs Film zwischen den Zeiten und Orten, wobei er nie das Schicksal seines starken Frauen-Quartetts aus den Augen verliert.

Dabei vertraut die Erzählung vor allem ihrer emotionalen Durchschlagskraft, die Wang von Beginn an besonders betont. Bereits der Musikeinsatz – Rachel Portmans Score schlägt den Bogen vom heutigen ins damalige China – folgt offensiv jedem Gefühl, das sich in Nina und Sophia aufbaut. Hinzu kommt eine für ein chinesisches Melodram durchaus charakteristische Ernsthaftigkeit und Nähe zum Pathos. Seit Arbeiten wie „Töchter des Himmels“ und „Mr. Shi und der Gesang der Zikaden“ gilt Wang als Fachmann für gefühlvolle Familiengeschichten. Dieses Profil spielt er in „Der Seidenfächer“ erneut konsequent aus. Vor exotischer Kulisse werden hier große Themen wie Freundschaft und Loyalität durchaus ergreifend verhandelt. Und doch hätte man sich von ihm und seinem Film manchmal etwas mehr Zurückhaltung gewünscht.

Marcus Wessel

China, 19. Jahrhundert. Am gleichen Tag, im gleichen Tierkreiszeichen werden Schneerose und Lily geboren. Schneerose stammt aus einer begüterten, also hochstehenden Familie, Lily aus ärmlichen Verhältnissen. Die beiden Mädchen hätten einen höheren gesellschaftlichen Rang, wären sie als männliche Nachkommen, als Söhne geboren.

Nach wenigen Jahren werden ihnen die Füße gebunden, zum Teil sogar gebrochen; denn die damalige Sitte verlangt es, und nur so können sie eines Tages von einer Heiratsvermittlerin gut verheiratet werden.

Es sind die Männer, die das Sagen haben. Also müssen sich die Frauen zusammentun. Schneerose und Lily schließen einen Schwesternbund, der für ihr ganzes Leben gelten soll. Sie sind jetzt sogenannte Laotongs.

Mit ihren perfekten „Lotusfüßen“ (in Schnabelschuhen) findet Lily einen reichen Ehemann. Aber sie lebt trotz eines Kindes in einer unglücklichen Ehe mit gefühlskalten Schwiegereltern. Schneerose musste sie zurücklassen. Nur durch eine Geheimschrift auf einem Seidenfächer, den die beiden regelmäßig austauschen, sind sie immerhin noch lange miteinander verbunden.

Schneeroses Vater, opiumsüchtig, vertut sein Vermögen. Deshalb kann das Mädchen zum Mann nur einen armen Metzger finden. Obwohl ihr Sohn stirbt und ihr Mann sie in seiner Trauer schlägt, hat sie die größere Liebe gefunden als Lily. Wird der Schwesternbund halten?

Neuzeit in Shanghai. Auch Nina und Sophie tun sich zusammen. Sie erleben wie Schneerose und Lily Schicksalsschläge, Unfälle, komplizierte Liebesverhältnisse, Trennungen, Missverständnisse, Pleiten – und trotzdem siegt am Ende eine innige Freundschaft.

Die beiden Zeitebenen sind geschickt wenn auch nicht immer leicht verständlich miteinander verwoben. Der Stil ist in der Geschichte von Schneerose und Lily elegisch, ästhetisch, ruhig, farbig . . .

. . . viel rastloser und „moderner“, wenn es um die Geschehnisse geht, denen Nina und Sophie in der Großstadt ausgesetzt sind.

Insgesamt ein regielich beherrschtes interessantes und durchaus mit Anteilnahme zu verfolgendes Kinostück. Dafür sorgen insbesondere auch die beiden Darstellerinnen Gianna Jun und Bingbing Li. Erstere spielt sowohl die Rolle der Schneerose als auch die der Sophie. Letztere die der Lily und der Nina – und zwar beide schön kunstvoll.

Thomas Engel