Anaïs ist impulsiv, stürzt sich voller Lebenslust in ihren Alltag und denkt nicht ans Morgen. Die Folgen sind Geldsorgen, unbeständige Beziehungen und die Frage, ob es die große Liebe überhaupt gibt. Die phantasievoll umgesetzte Liebesdramödie „Der Sommer mit Anaïs“ porträtiert eine Frau am Wendepunkt ihres Lebens und überzeugt mit gefühlvollen Bildern sowie unaufdringlichem Score. Die alles überstrahlende Präsenz von Anaïs und die Konzentration auf die Emotionen der Hauptfigur, lassen jedoch nur wenig Raum für ihre Mitmenschen.
Webseite: www.prokino.de/movies/details/Der_Sommer_mit_Anais
Frankreich 2021
Regie: Charline Bourgeois-Tacquet
Drehbuch: Charline Bourgeois-Tacquet
Darsteller: Anaïs Demoustier, Valeria Bruni Tedeschi, Denis Podalydès
Länge: 98 Minuten
Kinostart: 21.07.2022
Verleih: Prokino
FILMKRITIK:
Anaïs (Anaïs Demoustier) ist eine 30-jährige Frau voller Temperament und Energie. Ihr Alltag ist geprägt von Chaos und immer neuen Bekanntschaften. Denn mit ihrem aktuellen Freund läuft es alles andere als gut, außerdem plagen Anaïs Geldsorgen. Eine Affäre mit dem charmanten Buchverleger Daniel (Denis Podalydès) sorgt für noch mehr Trubel, vor allem bei Daniel. Denn der verliebt sich Hals über Kopf in Anaïs, lebt aber eigentlich mit Émilie (Valeria Bruni Tedeschi) zusammen. Zu der erfolgreichen Romanautorin fühlt sich hingegen Anaïs hingezogen. Anaïs reist Émilie hinterher und tut alles dafür, um der bekannten Schriftstellerin möglichst oft über den Weg zu laufen. Mit Erfolg.
Daniel liebt Anaïs. Anaïs wiederum liebt ihren Freund nicht mehr, dafür fühlt sie sich aber zu Émilie, Daniels Freundin, hingezogen. Und Émilie liebt Daniel, genießt allerdings auch das Werben und die Aufmerksamkeit von Anaïs. Charline Bourgeois-Tacquet entwirft in ihrem in unbeschwert-sommerliche Bilder getauchten Debütfilm ein konfuses Liebeschaos, das ganz auf die quirlige Hauptfigur Anaïs zugeschnitten ist. Von ihrem unsteten, umtriebigen Wesen geht ein großer Reiz aus, außerdem bewundert man Anaïs ob ihrer Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben – und keine Gedanken an die Folgen ihres Handelns zu verschwenden.
Andererseits präsentiert uns „Der Sommer mit Anaïs“ gleichzeitig eine Hauptfigur, die durchaus anstrengend sein kann. Und nicht nur die Nerven ihrer Mitmenschen, sondern auch jene der Zuschauer strapaziert. Und so begegnet man Anaïs durchaus ambivalent und mit gemischten Gefühlen, wenn sie sich einfach immer nimmt wonach ihr der Sinn steht. Und mit ihrer verplant-naiven Art durch ihren hektischen Alltag stolpert. Bei Anaïs handelt es sich um einen zwar liebenswürdigen, enorm lebhaften Charakter, allerdings auch um einen ziemlich Ich-bezogenen und selbstgefälligen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass nicht jeder Zuschauer mit einer solche fahrigen, dominant in den Mittelpunkt gerückten Protagonistin, die alle anderen Figuren überstrahlt, etwas anfangen kann.
Spannend ist ein von Bourgeois-Tacquet aufgebauter Kontrast, in dem sie der getriebenen, ruhelosen Persönlichkeit Anaïs eine Vielzahl an entschleunigten, poetischen Szenen gegenüberstellt, die häufig in malerischer Natur angesiedelt sind. Darin spielen zumeist die beiden weiblichen Hauptcharaktere eine zentrale Rolle. Apropos: Auch wenn Valeria Bruni Tedeschis Figur vergleichsweise spät im Film so richtig aufblüht und man etwas Geduld aufbringen muss, bis man hinter Émilies schwer zu durchdringende Fassade blicken kann – die Chemie zwischen den beiden wahrhaftig auftretenden Darstellerinnen Demoustier und Tedeschi stimmt.
Ergänzend kommen der virtuose Schnitt, das fein ausbalancierte Produktionsdesign und die gelungene Musikauswahl hinzu. Stellvertretend für die vielschichtigen Emotionen der Handelnden stehen nämlich die feinsinnigen, nachdrücklichen Musikstücke: von zarten, fragilen Pianopassagen bis hin zu leidenschaftlichen, einladend-sommerlichen Pop-Klassikern („Bette Davis Eyes“).
Björn Schneider