Familie: Es geht nicht ohne, aber leicht ist es auch nicht immer. Rund um diese Erkenntnis hat der Schweizer Regisseur Ramon Zürcher seine Tier-Trilogie gedreht, die nun mit „Der Spatz im Kamin“ ihren Abschluss findet. Erneut geht es in begrenzten, diesmal allerdings etwas ausladenderen Raum um Abgründe und Freuden einer Familie, präzise inszeniert und gespielt, mit Witz und Ironie erzählt.
Der Spatz im Kamin
Schweiz/ Deutschland 2024
Regie & Buch: Ramon Zürcher
Darsteller: Maren Eggert, Andreas Döhler, Ilja Bultmann, Lea Zoë Voss, Milian Zerzawy, Britta Hammelstein, Luise Heyer, Paula Schindler
Länge: 117 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 10. Oktober 2024
FILMKRITIK:
Ein schönes, großes Haus, umgeben von Wiesen und Wäldern, irgendwo auf dem Land, kleinbürgerliche Verhältnisse im deutschsprachigen Raum. Betont universell ist die Welt, in der Ramon Zürcher seinen Film ansiedelt, in dem er eine weitläufige Familie in den Raum stellt, fast könnte man von einer Familienaufstellung sprechen.
Im Haus lebten einst Eltern, natürlich, doch die sind inzwischen verstorben. Nun bewohnt es eine der Töchter, Karen (Maren Eggert), zusammen mit ihrem Mann Markus (Andreas Döhler) und zwei Kindern, dem vielleicht dreizehn, vierzehnjährigen Leon (Ilja Bultmann), der gerne kocht und weniger gern von Kindern in der Nachbarschaft verprügelt wird. Manchmal wird er dabei von seiner Schwester Johanna (Lea Zoë Voss) beschützt, die ein paar Jahre älter ist und mit ihrer erwachenden Sexualität spielt.
Zum Beispiel gegenüber Jurek (Milian Zerzawy), dem Mann von Jule (Britta Hammelstein), der Schwester von Karen. Sie und ihre Kinder sind zu Besuch, denn am nächsten Tag soll Markus’ Geburtstag gefeiert werden.
Im Gartenhaus des Anwesens lebt Liv (Luise Heyer), eine schweigsame Person mit Geheimnissen, die erst vor kurzem aus der Psychiatrie entlassen wurde, gelegentlich die Hunde ausführt und mit Markus ins Bett geht.
Und dann ist da noch Christina (Paula Schindler), das dritte Kind von Karen und Markus, die erst spät zur Festgesellschaft dazustößt, aber bald schon wieder verschwindet. Erwähnen sollte man schließlich noch die wahre Menagerie an Tieren, die den Haushalt vervollständigen, neben dem Spatz im Kamin, tauchen noch ein Hund, eine Katze und eine Ratte auf, die ebenfalls mehr oder weniger fester Teil der Familie zu sein scheint.
Zum dritten Mal inszeniert Ramon Zürcher einen Reigen, seziert zwischenmenschliche Eigen- und Besonderheiten, die sich zwar im warmen, weichen, sommerlichen Licht abspielen, aber in Momenten surreale und bizarre Abgründe zeigen. Alternativ zu „Der Spatz im Kamin“ hätte dieser Abschluss der Trilogie auch „Das Huhn ohne Kopf“ oder „Die Katze in der Waschmaschine“ heißen können, womit ein wenig angedeutet sein mag, dass Zürcher es bei aller Leichtigkeit durchaus ernst meint.
Virtuos spielt er mit seinem ausladenden Figurenensemble, deutet langgehegte Verletzungen und über die Generationen vererbte Traumata und Verhaltensweisen an. Nach den Vorgängerfilmen „Das merkwürdige Kätzchen“ und „Das Mädchen und die Spinne“ hat er eine bemerkenswerte Perfektion in der Inszenierung eines breiten Figurenensembles im Raum entwickelt, schreibt pointierte, unterschwellige Dialoge, die leicht wirken und oft erst auf den zweiten Blick ihre subtile Bedeutung verraten.
Man darf gespannt sein, in welche Richtung sich Zürcher nach Abschluss der Tier-Trilogie filmisch entwickelt, vielleicht in die weite Welt oder zu einem Film mit nur einer, dann auch noch schweigsamen Hauptfigur? Interessant wird es auf jeden Fall werden, doch bis es soweit ist, verdient „Der Spatz im Balkon“ viele neugierige Zuschauer.
Michael Meyns