Ein Jurist, sei er auch Staatsanwalt, eignet sich höchstens in amerikanischen Gerichtsfilmen zum Heldentenor. Umso erfreulicher die Konjunktur, die Fritz Bauer, der ehemalige hessische Generalstaatsanwalt, gegenwärtig erlebt. Ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod erinnert jetzt auch Regisseur Lars Kraume an einen leider fast vergessenen Mann, der sich in der alten Bundesrepublik mit seinem Mut wenig Freunde machte. Er brachte die Verbrechen von Auschwitz fast im Alleingang vor Gericht. Kraumes Psychogramm eines Aufrechten in den 60er Jahren und einer Nation, die von ihrer Vergangenheit nichts wissen wollte, war längst überfällig - auch wenn "Im Labyrinth des Schweigens" schon viel aufgegriffen hat. Herausragend verkörpert der subtile Charakterdarsteller Burghart Klaußner diesen humanistischen Helden. Ein ungemein starker Film! Unbedingt sehenswert!
Webseite: www.derstaatgegenfritzbauer.de
Deutschland, 2015
Regie: Lars Kraume
Drehbuch: Lars Kraume, Olivier Guez
Darsteller: Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Sebastian Blomberg, Jörg Schüttauf, Lilith Stangenberg, Laura Tonke u.a.
Länge: 105 Minuten
Verleih: Alamode Film
Kinostart: 1.10.2015
Pressestimmen/Auszeichnungen/Preise
Gilde-Preis der deutschen Filmkunst-Programmkinos Bester deutscher Film 2015
Publikumspreis Filmfestspiele Locarno 2015
"Ein großartiger Spielfilm ...mit einer oscarreifen Leistung von Burkhard Klaußner."
DIE ZEIT online
"Ein bis zum letzten Moment spannendes, fantastisch gespieltes Stück Zeitgeschichte und das sensible Psychogramm eines faszinierenden Menschen."
Brigitte
"Ein bis zur letzten Minute hochspannender Politthriller über den Kampf eines einzelnen Mannes gegen das Vergessen einer Nation. - Prädikat besonders wertvoll."
FBW
FILMKRITIK:
Er ist die Ausnahmeerscheinung der Nachkriegsjustiz: Fritz Bauer, hessischer Generalstaatsanwalt, der die Deutschen in einem Aufsehen erregenden Prozess mit der Barbarei in Auschwitz konfrontiert. In seiner Zunft steht er weithin allein da. „Wenn ich mein Amtszimmer verlasse“, sagt er im Freundeskreis, „betrete ich feindliches Ausland“. Denn die Mehrheit seiner Amtskollegen trug ihre Robe bereits im Zeichen des Hakenkreuzes. Eingebunden in braune Seilschaften, bemühen sie sich nach Kräften, die Verbrechen der Vergangenheit zu vertuschen.
Gegen die verdrängende Schlussstrichmentalität der Nachkriegsgesellschaft versucht Bauer im Frankfurter Auschwitzprozeß seinen Landsleuten, die nicht gewillt sind, sich ihrer Verantwortung zu stellen, die Augen zu öffnen. Den Humanisten, obwohl als jüdischer Sozialdemokrat nach 1933 von den Nazis aus seinem Vaterland vertrieben, trieb nicht Rachsucht. Ihm ging es um Aufklärung. Ohne seine Beharrlichkeit wäre auch Adolf Eichmann, der nach Argentinien geflohene Massenmörder und Manager des NS-Vernichtungswerks, unbehelligt geblieben.
„Ich möchte eigentlich wünschen“, sagt Bauer, „dass junge Menschen heute vielleicht denselben Traum von Recht besäßen, den ich einmal hatte und dass sie das Gefühl haben, dass das Leben einen Sinn hat, wenn man für Freiheit, Recht und Brüderlichkeit eintritt.“ Diese eingeschnittene Originalaufnahme in Schwarz-Weiß stellt Regisseur Lars Kraume seinem spannenden Biopic voran. Kurz darauf liegt Fritz Bauer (Burghardt Klaußner) bewusstlos in der Badewanne seiner Neubauwohnung im Frankfurter Westend. Am Wannenrand ein Röhrchen Schlaftabletten und ein Glas Rotwein.
So findet ihn sein Fahrer (Rüdiger Klink). Für den BKA-Mitarbeiter Paul Gebhardt (Jörg Schüttauf) ein gefundenes Fressen. Er wittert seine Chance und behauptet Bauer hätte einen Selbstmordversuch unternommen. Zusammen mit dem ehrgeizigen Oberstaatsanwalt Ulrich Kreidler (Sebastian Blomberg) glaubt er so den Störenfried zu Fall zu bringen. Doch die Rechnung geht nicht auf. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus versucht der aufrechte Demokrat weiter konsequent die Täter und Mitläufer des NS-Regimes vor Gericht zu bringen. Vor allem als er den entscheidenden Hinweis bekommt, dass der frühere SS Obersturmbandführer Adolf Eichmann in Argentinien untertauchen konnte, hält ihn nichts mehr.
Gemeinsam mit dem jungen Staatsanwalt Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) beginnt ein Kampf gegen scheinbar unsichtbare Gegner. Denn niemand in der jungen Bundesrepublik will Eichmann vor Gericht sehen. Die Angst, dass der „Buchhalter des Todes“ weitere Namen im Zusammenhang mit der „Endlösung“ nennt, ist groß. Nicht umsonst sitzt Hans Globke, der unter Hitler die Nürnberger Rassegesetze kommentierte, als Staatsekretär in der Adenauer Regierung. Zudem war Eichmanns Aufenthaltsort in Argentinien sowohl dem Bundesnachrichtendienst als auch der CIA damals seit Jahren bekannt. Da Bauer der deutschen Justiz zu Recht misstraut nimmt er Kontakt zum israelischen Geheimdienst Mossad auf. Damit begeht er quasi Landesverrat.
Dem couragierten Pionier der Aufarbeitung von NS-Verbrechen, der klarsichtig erkannte, dass der NS-Staat kein Betriebsunfall der Geschichte war, ein filmisches Denkmal zu setzen ist längst überfällig. Grimme Preisträger Lars Kraume versucht mit seinem Psychogramm eines Aufrechten dieser Aufgabe gerecht zu werden. Dabei hält er sich nicht immer nur an die nüchternen Fakten. So ist sein junger, verkappt homosexueller Staatsanwalt Karl Angermann, hervorragend dargestellt von Ronald Zehrfeld, ein fiktiver Charakter. Der dramaturgische Schachzug ermöglicht ihm künstlerische Freiheit, die sein kraftvolles Biopic um einiges spektakulärer gestaltet. Trotzdem steht der ultimative Fritz-Bauer-Spielfilm über diesen Intellektuellen mit Herz und Güte noch aus.
Mit seinem Hauptdarsteller gelang ihm freilich ein Glücksgriff. Burghart Klaußner gehört seit Jahrzehnten zur Crème de la Crème der deutschen Schauspieler. Der gestandene Theatermann und subtile Charakterdarsteller verkörpert den Ausnahmejuristen und Kettenraucher bis in die kleinsten Nuancen überzeugend. Prägnant, sensibel und präzise spielt er seine Rolle vor der Kamera. Klaußner spricht nicht viel, aber er wirkt. Das ist seine Stärke. Das Reduzierte, in sich Zurückgezogene. Nicht umsonst erhielt der gebürtige Berliner zahlreiche Auszeichnungen. Darunter den Deutschen Filmpreis für seine Rolle als Pastor im Film „Das weiße Band“, der auch für den Oscar nominiert war.
Luitgard Koch