Der Trafikant

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Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Robert Seethaler: Ein 17-jähriger Bub kommt 1937 von der langweiligen Provinz in die quirlige Großstadt Wien, um in einem Tabakladen – Trafik auf österreichisch – als Lehrling zu arbeiten. Er lernt nicht nur die Liebe in Gestalt einer schönen, aber flatterhaften Böhmin kennen, sondern auch den alten Sigmund Freud. Doch dann kommen die Nazis, und mit ihnen wird sich alles verändern. Detailfreudig ausgestattete, mit genauem Gespür für die Zeit inszenierte Literaturverfilmung, die vom Coming-of-Age und einer großen Freundschaft erzählt. In den beiden Hauptrollen einfühlsam gespielt.

Webseite: www.DerTrafikant.de

Österreich / Deutschland 2018
Regie: Nikolaus Leytner
Darsteller: Simon Morzé, Bruno Ganz, Johannes Krisch, Emma Drogunova, Regina Fritsch, Karoline Eichhorn
Länge: 113 Min.
Verleih: Tobis
Kinostart: 1.11.2018

FILMKRITIK:

Österreichern muss man nichts erklären, und weil dies die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Robert Seethaler ist, wissen auch deutsche Leser Bescheid: Ein Trafikant ist der Besitzer eines kleinen Geschäfts für Tabakwaren, Zeitungen und Schreibwaren. Wir befinden uns im Österreich des Jahres 1937. Der 17-jährige Franz Huchel (Simon Morzé) verlässt auf strenges Geheiß seiner Mutter Margarete (Regina Fritsch) sein Heimatdorf, am Attersee im Salzkammergut gelegen, und fährt ins aufregende, brodelnde Wien. Hier führt ein ehemaliger Liebhaber der Mutter, Otto Trsnjek (Johannes Krisch), eine Tabak-Trafik, Franz geht bei ihm in die Lehre. Der Bub lernt schnell, nicht nur das Praktische (Namen und Vorlieben der Kunden merken), sondern auch das Lebenskluge, zum Beispiel die Zeitung zu lesen, um informiert zu sein. Zu den besten Kunden gehört der 82-jährige Sigmund Freud (Bruno Ganz), der – so sagt man – „Köpfe repariert, innen drin“. Franz ist neugierig und sucht Rat. Er ist nämlich unglücklich verliebt, in die schöne, viel zu erfahrene und flatterhafte Böhmin Anezka (Emma Drogunova). Doch Freud ist in Liebesdingen keine große Hilfe. Überhaupt gibt es Wichtigeres: Hitlers Truppen sind einmarschiert, Otto Trsnjek, ein Jude, verschwindet in den Kellern der Gestapo. Nun ist Franz der Trafikant. Und er trifft eine folgenschwere Entscheidung.
 
Regisseur und Co-Drehbuchautor Nikolaus Leytner hat ein genaues Gespür für die Zeit und die Menschen, die in ihr leben. Er bringt sie dem Zuschauer anschaulich näher, mit ihren Sorgen und Nöten, mit ihren Sehnsüchten und Wünschen, vor allem aber mit den politischen Erschütterungen, die die Nazis verursachen. Plötzlich wird der Nachbar zum Feind, und auch am Attersee ticken die Uhren jetzt anders, wie der Briefwechsel mit der Mutter, eine weitere Erzählebene des Films, beweist. Doch die politische Realität schleicht sich nur langsam und behutsam in die Geschichte ein, weil die Hauptfigur zunächst andere Probleme hat und sie nur am Rande wahrnimmt. Es geht vor allem um das Erwachsenwerden eines Buben, der die Liebe und die Großstadt kennen lernt und von gleich zwei Ersatzvätern lernt. Und nun kommt noch eine dritte Erzählebene hinzu: Franz ist ein Träumer, der sich in mutigen Tagträumen den besseren Ausgang einer Situation vorstellt oder in finsteren Nachtträumen in eine andere, poetischere Welt flüchtet. Immer wieder blitzen diese Phantasien auf, in entfremdeten, surrealen und sehr ausdrucksstarken Bildern. Auf Anraten Freuds schreibt Franz die Träume auf und hängt das Geschriebene dann ins Schaufenster der Trafik, um sie mit anderen zu teilen. Nur so kann er seine Überforderungen und seinen Kontrollverlust kompensieren. Die Beziehung zwischen Franz und Sigmund Freud, dem unerfahrenen jungen Mann und dem greisen, lebensklugen und bescheidenen Weltbürger, gerät denn auch zum Zentrum des Films. Simon Morzé und Bruno Ganz spielen ihre Rollen ebenso einfühlsam wie glaubwürdig: neugierig und lebenslustig der eine, klug und schelmisch der andere. Es macht Spaß, ihnen zuzuschauen.
 
Michael Ranze