Der traumhafte Weg

Zum Vergrößern klicken

Während sich manche Vertreter der so genannten Berliner Schule gelegentlich in Richtung Genre bewegen, hält Angela Schanelec auch in ihrem sechsten Kinofilm an ihrem spröden Stil fest. Wie in „Nachmittag“, „Marseille“ oder zuletzt „Orly“ passiert auf der Plotebene von „Der traumhafte Weg“ wenig, im Gegenteil die Autorenfilmerin lässt etliches aus. Mit Alltagsbildern im 4:3-Format und einer minimalistischen Montage stilisiert sie das Ende zweier Liebesgeschichten. Wie die bisherigen Werke von Angela Schanelec ist der Wettbewerbsteilnehmer der 69. Filmfestspiele von Locarno ein unzugängliches, konzentriertes, eigensinniges Filmdrama.

Webseite: www.filmgalerie451.de

Deutschland 2016
Regie & Drehbuch: Angela Schanelec
Darsteller: Miriam Jakob, Thorbjörn Björnsson, Maren Eggert, Phil Hayes, Anaïa Zapp, Alan Williams, Petra Trenkel, Benjamin Hassmann, Michel Drobnik
Laufzeit: 86 Min.
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 27. April 2017

PRESSESTIMMEN:

Angela Schanelecs Filme polarisieren, weil sie ihrer ganz eigenen, freien Erzähllogik folgen - ihr neuester "Der traumhafte Weg" sogar noch radikaler als frühere Werke. Gerade deshalb ist er auch beglückend. (...) Angela Schanelec macht Filme, die einem das Sehen, das Denken, das Fühlen, das Hören nicht abnehmen. Oft wird sie angefeindet dafür. Wer aber Lust hat, einer anderen, freieren Logik zu folgen, einer Logik der Rhythmen und Rahmungen und Auslassungen und der Blicke auf Körper und der Lust des einen Bilds auf ein anderes, die oder der wird mit dem Film glücklich werden."Der traumhafte Weg", der 2016 in Locarno Premiere feierte, ist auf sehr sanfte Weise sehr radikal, mehr noch als Schanelecs bisherige Filme. Er schiebt zwei verschiedene Geschichten und Zeiten ganz unaufdringlich aneinander, kaum ineinander. Wer sich ihm überlässt, erlebt ihn wie einen Traum, der sich aus leise verrutschten Tagesresten entfaltet.
Spiegel Online

FILMKRITIK:

Griechenland, Sommer 1984: Der Brite Kenneth (Thorbjörn Björnsson) und die Deutsche Theres (Miriam Jakob) finanzieren ihren Urlaub durch Auftritte als Straßenmusiker – immer wieder spielen sie den Oldie „The Lion Sleeps Tonight“ und sammeln Klimpergeld Als Kenneth per Telefon erfährt, dass seine Mutter verunglückt ist, bricht er Hals über Kopf auf und lässt Theres allein zurück. Dreißig Jahre später in Berlin: Die 40-jährige Fernsehschauspielerin Ariane (Maren Eggert) steckt mit ihrem Ehemann (Phil Hayes), einem Anthropologen, mitten in einer Ehekrise. Die Trennung scheint besiegelt und Arianes Mann zieht in eine kleine Wohnung nahe des Hauptbahnhofs. Durchs Fenster beobachtet er einen Obdachlosen: Es ist Kenneth.
 
Der renommierte Kameramann Reinhold Vorschneider, der zuletzt „Wild“ und „Helle Nächte“ bebildert hat, filmt das Drama im anachronistischen 4:3-Format. So betont bereits die technische Umsetzung die Künstlichkeit des Dramas, das zwar Alltägliches schildert, das Gewöhnliche aber feingliedrig stilisiert. Schanelec betont fortwährend die filmische Gemachtheit ihres Dramas. Der Plot spielt eine Nebenrolle, der Film funktioniert auf einer theorielastigen, fast schon musealen Ebene.
 
Die Dialoge löst Angela Schanelec sehr eigenwillig auf, indem sie die Reaktionen nicht in den Gesichtern zeigt, sondern durch kleine Bewegungen von Händen und Füßen, die sich berühren oder aus dem Bild kippen. Die Figuren stellen kaum mal Augenkontakt her, erklären fast nichts, sondern agieren mitunter apathisch in zerdehnten Momentaufnahmen. Schanelec lässt die Einstellungen lang stehen und fokussiert abschweifend auf Details. Die reduzierte Filmsprache vermeidet das klassisch Erzählerische, Ellipsen fordern auf, das Dazwischen gedanklich selbst aufzufüllen.
 
„Der traumhafte Weg“ stand als deutscher Beitrag zusammen mit „Paula“ und „Marija“ im Wettbewerb um den Goldenen Löwen von Locarno. Im Vergleich zu den anderen deutschen Filmen ist der von Schanelec sicher der sperrigste, unaufgeregteste – und zugleich der radikalste. Man muss jedenfalls eine gewisse Offenheit für cineastische Experimente mitbringen, um das auf zahlreichen Filmfestivals aufgeführte Kunstdrama zu mögen.
 
Christian Horn