Experten sprachen von einer der größten „Sensationen der Kunstgeschichte“: 2024 entdeckten Kunsthändler ein Meisterwerk von Caravaggio. Das Bild, das Jahrhunderte lang als verschollen galt, zeigt Jesus mit der Dornenkrone unmittelbar vor der Kreuzigung. Die sehenswerte Dokumentation „Der verlorene Caravaggio“ befasst sich mit dem spektakulären Fall dahinter und entführt in die ambivalente Welt des Kunsthandels. Dramaturgisch originell, vielschichtig und voller interessanter Gesprächspartner, die ihre Expertise und Erfahrung teilen.
Über den Film
Originaltitel
The Sleeper
Deutscher Titel
Der verlorene Caravaggio
Produktionsland
ESP,ITA
Filmdauer
78 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Longoria, Álvaro
Verleih
Arsenal Filmverleih GmbH
Starttermin
03.07.2025
Ein in einer Madrider Wohnung entdecktes Gemälde sorgte weltweit für Aufsehen, als man annahm, dass es sich um ein verloren geglaubtes Werk des berühmt-berüchtigten Barock-malers Michelangelo Merisi da Caravaggio handeln könnte. 2021 wurde es bei einer Kunstauktion in der spanischen Hauptstadt beinahe für 1500 Euro verkauft. Das Auktionshaus hielt das Bild damals noch für ein Werk eines Caravaggio-Schülers, doch bald zeigte sich: Bei dem Kunstwerk handelt es sich um das verschollene „Ecce Homo“ („Seht den Menschen“), das Caravaggio Anfang des 17. Jahrhunderts in vierjähriger Arbeit erstellte. Der Wert des Bildes beläuft sich auf rund 30 Millionen Euro.
Regisseur und Drehbuchautor Álvaro Longoria zeichnet den Weg des geheimnisvollen Werkes detailliert und aufs Sorgfältigste nach: vom Esszimmer der Besitzer (dort hing es viele Jahrzehnte vor sich hin) über die Galerien und das Auktionshaus bis hin zu den großen Museen der Welt. Tragende Bedeutung kommt den Kunsthändlern zu, von denen Longoria zahlreiche als Interviewpartner für seinen Film gewinnen konnte. In den nachgestellten Szenen spielen sie sich selbst. Sie zählen zu den erfolgreichsten – und gefürchtetsten – Akteuren ihrer Branche.
Darunter der Spanier Jorge Coll und der Italiener Andrea Lullo, die ausführliche Einblicke in die Welt des Kunsthandels gewähren. Beide waren beim Bieterwettstreit um „Ecce Homo“ involviert und ihre Äußerungen bieten spannende, wertvolle Informationen aus erster Hand. Ebenso wie das Interview mit dem CEO des Auktionshauses in Spanien (Ansorenas), dem renommierten Kunsthistoriker Keith Christensen und einigen führenden Caravaggio-Kennern der Welt. Diese Fülle an beteiligten Personen bzw. Zeitzeugen der Ereignisse rund um die Entdeckung des Gemäldes und illustren Interviewpartnern ist eine der großen Stärken von „Der verlorene Caravaggio“.
Daneben lässt Longoria Kunstsammler und Mitglieder der Besitzerfamilie zu Wort kommen, die ihre Sicht auf diesen „Zufallsfund“ darlegen. Auch für weniger Kunst-affine Zuschauer und solche, die mit dem Werk des großen Barockkünstlers nicht vertraut sind, lohnt die Doku. Die Experten ordnen die Kunst Caravaggios ein und erläutern anschaulich und nachvollziehbar, wieso der gebürtige Mailänder zu einem der bedeutendsten Vertreter seiner Zunft wurde.
Caravaggio interpretierte mit Vorliebe biblische Geschichten und religiöse Motive. Kunstliebhaber schätzen seine realistischen Darstellungen und das ausgeklügelte Spiel mit Atmosphäre sowie Licht und Schatten. Beweise dafür liefert Longoria mit zahlreichen gut gewählten Beispielen zentraler Caravaggio-Arbeiten aller Karriere- bzw. Lebensphasen: von der „Opferung Isaks“ über „Madonna und Kind mit der Heiligen Anna“ bis hin zum „Bacchus“. Die sorgfältig komponierten (Detail-) Aufnahmen vergegenwärtigen dem Betrachter vor dem Bildschirm Caravaggios meisterhafte Fertigkeiten mit dem Pinsel. Ergänzend kommen abwechslungsreiche Impressionen aus wichtigen Kunstmuseen hinzu (Borghese Galerie in Rom, Prado in Madrid, Palazzo Bianco in Genua), die sich mit Caravaggio beschäftigen und seine Meisterwerke in ihrer Sammlung präsentieren.
Und: Neben all dem Wissenswerten über „Ecce Homo“ und Caravaggio selbst befasst sich Longoria weiterhin mit den materiellen, kommerziellen Aspekten von Kunst und Kunsthandel. „Der verlorene Caravaggio“ veranschaulicht, dass der globale Kunstmarkt letztlich zu weiten Teilen ein Haifischbecken voller gewinnorientierter Auktionshäuser und – vor allem – einflussreicher, gut vernetzter Händler ist.
Björn Schneider