Déserts – Für eine Handvoll Dirham

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Ein Genre war dem Regisseur und Drehbuchautor Faouzi Bensaïdi nicht genug: Deshalb kombinierte er ein skurriles Buddy-Movie mit einem strengen, nahezu mythischen Arthouse-Western. Das ist mutig, beinahe schon tollkühn zu nennen, denn dieses Spagat zwischen zwei gegensätzlichen Genres fordert die Zuschauer ganz schön heraus. Aber ist das nicht die eigentliche Aufgabe des Kinos?

Webseite: https://www.camino-film.com/filme/deserts/

Frankreich, Deutschland, Marokko, Belgien, Katar 2024
Buch und Regie: Faouzi Bensaïdi
Darsteller: Fehd Benchemsi, Abdelhadi Taleb, Rabii Benjhaile
Kamera: Florian Berutti

Länge: 125 Minuten
Verleih: Camino Filmverleih
Start: 27.06.2024

FILMKRITIK:

Mehdi und Hamid arbeiten für ein Inkasso-Büro. Ihr Job ist es, bei den Ärmsten der Armen Marokkos Schulden einzutreiben. Dafür fahren sie durch trostlose Wüstenlandschaften und geraten von einer skurrilen Situation in die nächste. Doch kaum hat sich‘s der Zuschauer in diesem schrägen Buddy-Road-Movie bequem gemacht, ändert Faouzi Bensaïdi abrupt die Spielregeln. Die Beiden erhalten an einer Tankstelle ein Angebot, das sie nicht ablehnen können: Für 3000 Dirham sollen sie einen Verbrecher, der an den Gepäckträger eines Motorrads gefesselt ist, den Behörden übergeben. Der Verbrecher stiehlt den Wagen der Beiden und fährt damit in sein Heimatdorf, um dort seine große Liebe wiederzufinden und Rache an dem Mann zu nehmen, der sie ihm geraubt hat.

Letztlich erzählt Faouzi Bensaïdi in der zweiten Hälfte seines Films eine klassische Westerngeschichte. Es geht um Liebe, Rache und Vergeblichkeit, erzählt vor einer atemberaubenden Landschaft. Die Wüste wird zum Monument Valley – John Ford lässt grüßen. Doch dessen Filme warben mehr um ihr Publikum, als Faouzi Bensaïdi es tut. Der fordert nämlich seine Zuschauer heraus und erwartet, dass man ihm überall hin folgt, in die entlegensten Winkel der Wüste und in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele. Nonchalant lässt er dabei seine Helden aus dem ersten Teil des Films, Mehdi und Hamid, über weite Strecken der Geschichte vollkommen außer Acht. Und auch die Rachegeschichte wird eher sperrig erzählt: Lange, statische Einstellungen kennzeichnen die zweite Hälfte des Films, in denen sich die Akteure von der Wucht der Landschaft förmlich bezwingen lassen.

„Der zweite Teil des Films hat es mir ermöglicht, diese Inkohärenz, die natürlich die Inkohärenz unserer Existenz ist, zu nähren. In eine Welt vor der Sprache zu gehen, außerhalb der Zeit, in der Menschen, Tiere und Natur eins waren.“ So erklärt Faouzi Bensaïdi seine Intentionen. Das kann für den Zuschauer durchaus herausfordernd sein, doch wer in der Lage ist, sich auf diese Erzählweise einzulassen, wird mit einem Kinoerlebnis der besonderen Art belohnt, wozu auch Florian Beruttis herausragende Kamera-Arbeit beiträgt.

Die Schauspieler überzeugen auf ganzer Linie und tragen das mutige Regiekonzept mit großer Professionalität und Kreativität. Zwischen Fehd Benchemsi und Abdelhadi Taleb, den beiden Mitgliedern des Schuldeneintreiber-Duos, stimmt die Chemie aufs Beste, und sie haben das für Slapstick notwendige, stoische Timing perfekt drauf. Rabii Benjhaile besitzt die passende Ausstrahlung für seine Rolle als düsterer, namenloser Rächer.

Dabei hat „Déserts – für eine Handvoll Dirham“ auch eine starke politische Dimension, die ziemlich offensichtlich ist: Es geht um die Vernachlässigung armer, prekär lebender Bevölkerungsgruppen, die einem alles zermalmenden Raubtierkapitalismus quasi als Opfer dargeboten werden. Dem stellt sich Faouzi Bensaïdi mit den Waffen des Kinos und einem unerschütterlichen Glauben an den Menschen und seine Möglichkeiten entgegen.

 

Gaby Sikorski