Dichter und Kämpfer

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Nicht mehr lange und die Kunstform des Poetry-Slams auf deutschen Bühnen feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Vor allem in größeren Städten gehören die literarisch-poetisch grundierten Vortragswettbewerbe immer öfter und regelmäßiger zum Kulturangebot. Die Stimmung dabei gleicht manchmal einem Rockspektaktel. Von ihrer Kunst leben können nur die wenigsten der Wortakrobaten und Sprachperformer. Was sie motiviert, das lässt die Fernsehjournalistin Marion Hütter in ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm beispielhaft vier Teilnehmer Deutscher Poetry-Slam-Meisterschaften erzählen – und macht damit Lust, einen solchen Slam auch live zu erleben.

Webseite: www.dichter-und-kaempfer.de

Deutschland 2012
Regie: Marion Hütter
Dokumentarfilm mit den Poetry-Slammern Philipp „Scharri“ Scharrenberg, Sebastian 23, Julius Fischer und Theresa Hahl
89 Minuten
Verleih: MFA, www.mfa-film.de  
Start: 6.9.2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Um mal gleich mit einem Wortspiel zu beginnen: Poetry-Slams sind mehr und mehr in aller Munde. Nicht mehr nur in Städten wie Hamburg, München, Berlin, Stuttgart, Leipzig oder Duisburg – das Phänomen Poetry-Slam greift längst auch in kleineren Orten um sich. Denn Worte sind ein tolles Spielzeug, aus dem sich irre Geschichten und Gedichte basteln lassen. Sie sind auch ein Genussmittel, das man auf der Zunge zergehen lassen muss. Slam-Poetry lässt sich definieren als Alltag plus Poesie. Auf der Bühne kommt noch die Performance des Dichters hinzu, der mal laut, mal melancholisch, durchaus auch performativ, Worten Gestalt und Gehalt verleiht. Oder anders gesagt: hier verbindet sich die Theater- mit der Dichtkunst. Um dabei zu sein, muss man weder Literatur studiert noch ein Kreativ-Schreibseminar besucht haben.

Der seit 1994 im deutschsprachigen Raum immer populärer werdenden Ausdrucksform und seiner verschiedenen Facetten hat die Berliner Fernsehjournalistin Marion Hütter, selbst bekennender Poetry-Slam-Fan, nun ein filmisches Porträt gewidmet. Allerdings, das vorneweg, greift sie selbst nicht mit Fragen in die Dramaturgie ein, sondern lässt als Beobachterin die Aussagen ihrer Protagonisten stets so stehen wie sie sind. Das führt allerdings auch dazu, dass sich manche Aussagen wiederholen. Etwa jene, dass mit Slammen kaum ein Geld verdient werden kann (das ergibt sich für die wirklich guten Slammer eher dann, wenn ihre Sprachgewandtheit als Moderator oder Conferencier gefragt ist). Ein gewisser Idealismus jedenfalls ist für die Zugehörigkeit zum Kreis der „Dichter und Kämpfer“ unabdingbar.

Marion Hütter hat ihre allesamt sehr sympathischen Protagonisten zwischen den Deutschen Poetry-Slam-Meisterschaften 2008 und 2009 ein Jahr lang begleitet und versucht, den vier Helden auch privat etwas näher zu kommen. Am Beispiel Philipp „Scharri“ Scharrenberg etwa zeigt sie, wie der Sprung von einer Slam-Bühne zum gefragten Comedian und Kabarettisten gelingen kann. Wenn sie den mittlerweile von Stuttgart nach München gezogenen Scharrenberg seine heitere Beziehungsanalyse performen lässt, dann geschieht dies nicht etwa während eines Dichterwettstreits, sondern mehr im Kürprogramm. Denn in die Schlacht ziehen darf ein Poet nur ohne Requisiten und maximal jenem Stück Papier, auf das er seine Worte niedergeschrieben hat. Scharrenberg aber braucht zur Veranschaulichung der korrekten Bezeichnung des Stadiums einer Zweierbeziehung eine „Was is’n das jetzt mit uns?“-Matrix. Ihr zufolge definieren sich eine Romanze und ein Techtelmechtel beide durch die Zutat Küssen, erstere jedoch noch in Verbindung mit einem Gefühl für den Partner, zweitere ergänzt lediglich durch den Umstand des Miteinanderschlafens. Für die Ehe, so Scharrenbergs Analyse, seien nicht diese drei Charakteristika maßgeblich, sondern allein der Faktor Dauer. Vorgetragen zur Melodie des Volksliedes „Lieber Heinrich, lieber Heinrich“ krönt der Meisterreimer das ohnehin bereits für Heiterkeit sorgende Thema, indem er im Schnellsprech die verschiedensten Zustände einer Beziehung wie mathematische Formeln aufdröselt. Als Programmauszug ist dies sicher einer der Höhepunkte von „Dichter und Kämpfer“.

Vor allem an den anderen drei Protagonisten – Sebastian 23, dem deutschen Meister 2009, der nun in seiner Heimatstadt das nächste Bundesfinale ausrichten darf, der den Kommerzialisierungstendenzen des Slammens skeptisch gegenüberstehende Julian Fischer sowie als Newcomerin die blutjunge Theresa Hahl – macht dieser Film aber deutlich, dass die deutsche Poetry-Slam-Szene nach wie vor ein Subkultur-Dasein führt und hier kreative Querdenker am Start sind, die in einer allgemein glatt gebügelten Gesellschaft für bunte Tupfer sorgen. Mit ihren Texten regen sie zum Nachdenken an, laufen selbst aber auch Gefahr, in ihrer Unverfälschtheit nur jene Exoten am Rande zu bleiben, deren Mut zur öffentlichen Darstellung immerhin auf den Poetry-Slam-Bühnen begeisterten Beifall erntet.

Weil Hütter auch dabei war, als berichterstattende Journalisten ihre Protagonisten interviewten, bleibt es nicht aus, dass ab und an ein Mikro einer Fernsehanstalt ins Bild ragt. Da Hütter darauf verzichtet, das Phänomen Poetry-Slam in seiner Entstehung in Deutschland, geschweige denn ihres Ursprungs in den USA, eingehender zu beleuchten und auch kritische Bemerkungen nicht vertieft (Julius Fischers Anmerkung von den „Lektionen in Demut“ hinsichtlich der Kommerzialisierung der Wortsportart), kommt ihr lebhafter und die knisternde Spannung während des Dichterwettstreits deutlich machender Film selbst nicht über die Form einer Reportage hinaus. Einer allerdings, die mit einer Spielzeit von knapp 90 Minuten ausreichend Zeit hat, das Thema näher zu bringen. Doch so nah man den Wortfechtern im Film auch ist, Lust darauf, die nächste Gelegenheit zum Besuch eines Live-Slams mit Rockkonzertatmosphäre wahrzunehmen, bekommt man garantiert.

Thomas Volkmann

„Slam Poetry“ heißt die Kunstform, die hoffentlich im Kommen ist. Junge Leute, Männlein wie Weiblein, versuchen sich im Gedichte erfinden, schreiben und vortragen. Sie unterhalten inzwischen auch schon Workshops, versuchen die Zuhörer und die Lernenden zu begeistern und neue „Dichter“ hinzuzugewinnen. Die Bewegung weitet sich aus. Bei einigen dieser Künstler sind die Terminkalender bereits gut gefüllt, und sie können, obwohl noch Studenten, inzwischen davon leben.

Die Themen sind unbegrenzt, Komik wechselt mit Philosophie. Vom „Hypochonder“ geht’s zum „Bahndammbrandmann“, von allen erdenklichen Formen der Liebe zu den hoch beachtlichen Gedanken der Theresa Kahl, bei der „der Zebrastreifen nach Afrika führt“, die „keinen Sonnenbrand bekommt, weil sie sie selbst überschattet“, die „in der Einbahnstraße die Richtung verliert“, die „keinen Schatten wirft, weil sie sich zu nahe an der Wand befindet“. Bei Theresa Kahl geht die „Amateurkunst“ in ernsthafte Dichtung über.

Von manchen wird aber auch mehr Banales „gedichtet“.

Es werden Wettbewerbe abgehalten. Es gibt Meisterschaften, von den Zuhörern Punkte und natürlich Sieger. Philipp „Scharri“ Scharrenberg, Julius Fischer, Theresa Kahl, Pierre Jarawa oder Björn Högsdahl heißen ein paar von den Protagonisten. Kann sein, dass man bald von ihnen hört.

„Macht mit“, sagen sie am Schluss zu den Jungen. Und zu den Alten: „hört nicht auf!“

Gut, dass Marion Hütter diesen Film gemacht hat. Auf einfache dokumentarische Weise hat sie zusammengetragen, was bei den „Slammers“ so abgeht. Es lohnt sich sicher, in dieser Richtung weiter zu gehen, der Aufforderung der Amateure und angehenden „Dichter“ zu folgen. Die Sprache, die Ideen, die Originalität, die Formulierungskunst, ja allgemein der Mut zum Künstlerischen, sie sind wirklich zu kostbar, um in der in ihrer Intelligenz hoch gefährdeten Spaßgesellschaft unterzugehen.

Thomas Engel