Die Amitié

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Mit einem politisch brisanten Thema befasst sich die deutsche Produktion „Die Amitié“. Es geht um das System der Arbeitsmigration und, ganz allgemein, die Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Beide Probleme sind nicht neu, aber dringlicher denn je. Gleichzeitig schlägt „Die Amitié“ einen Bogen in unsere moderne, digitalisierte Zeit. Denn eine virtuelle KI-Welt spielt eine tragende Rolle in dieser ungewöhnlichen Mixtur aus Sozialsatire, Drama, Groteske und Sci-Fi. Wer experimentelles deutsches Indie-Kino mag, könnte an „Die Amitié“ gefallen finden.

Deutschland 2023
Regie: Peter Ott, Ute Holl
Buch: Peter Ott, Ute Holl
Darsteller: Sylwia Gola, Yann Mbiene, Walter Hess, Anna Stieblich, Ivona Nowacka

Länge: 102 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 21. März 2024

FILMKRITIK:

Agnieszka (Sylwia Gola) stammt aus Polen und kommt nach Lübeck, um sich dort als Pflegerin um Siegfried, der an Demenz leidet, zu kümmern. Der Afrikaner Dieudonné (Yann Mbiene) kommt von der Elfenbeinküste ebenfalls in die norddeutsche Stadt. Er beginnt eine Stelle als Erntehelfer in einem riesigen Gewächshaus. Beide, Agnieszka und Dieudonné, treten einem mysteriösen Netzwerk bei: der Amitié. Dabei handelt es sich um eine selbstlernende künstliche Intelligenz, die für ihre Mitglieder eine virtuelle Umgebung erschafft. Mit der KI ist es möglich, zu kommunizieren, Sprachen zu lernen, Jobs zu vermitteln und Geld überallhin zu transferieren. Das Netzwerk funktioniert perfekt, doch ein perfider Polizist, der Agnieszka und Dieudonné der Schleuserkriminalität verdächtigt, bringt alles ins Wanken.

Peter Ott und Ute Holl geben in „Die Amitié“ jenen eine Stimme, die sonst nur wenig Gehör finden. Die „ganz unten“ in der Gesellschaft ums Überleben kämpfen, zu fragwürdigsten Bedingungen: die „modernen Arbeitssklaven“. Zu diesen zählen auch Agnieszka und Dieudonné, die – für einen Mini-Lohn – körperlich schwer schuften müssen. Dieudonné haust mit seinem Freund darüber hinaus noch in einer schäbigen, viel zu engen Unterkunft.

Gleich zu Beginn sehen wir eine Szene, in der Dieudonné mit seiner Chefin spricht, die den beiden Männern ihren künftigen Stundenlohn mitteilt. Sie erhalten wesentlich weniger als ihnen zugesichert wurde und auf eine Diskussion lässt sich die Inhaberin des gewaltigen Bio-Gewächshauses gar nicht erst ein. Wenige Minuten später sieht man ihn schon wieder schuften, ernten und Gemüse ausfahren. „Die Amitié“ prangert in solchen, fast beiläufig eingestreuten Momenten geschickt das Prinzip der legalen Ausbeutung an.

Der Film wechselt zwischen den beiden Hauptfiguren, die kurz darauf aufeinandertreffen, gekonnt hin und her. Er zeigt bei Agnieszka und Dieudonné exakte Parallelen in der täglichen Alltagsbewältigung auf, vergleicht deren Situation miteinander, präsentiert Gemeinsames und auch jene Aspekte, die sich unterscheiden. Dabei stehen die Beiden natürlich nur stellvertretend für all die hierzulande tätigen „Arbeitssklaven“, von denen viele aus Osteuropa und Afrika stammen. Und die keinen besonders guten Schutz oder auch Absicherung genießen. Das macht „Die Amitié“ in erster Linie zu einem dokumentarisch anmutenden, sozialkritischen Drama.

Auffällig ist, dass sich die zwei Arbeitsmigranten trotz aller Widrigkeiten ihre eigenen kleinen Universen schaffen, in denen sie gut funktionieren. Nicht zuletzt dank des perfekten KI-Netzwerkes. Mit diesem Thema gelangen hypermoderne Sci-Fi-Elemente in den Film. Sie zeigen sich zum Beispiel immer dann, wenn die Handelnden in die virtuelle Realität eintauchen – mittels einer futuristischen, abgefahrenen VR-Brille. Und abgefahren sind ebenso die Vorkommnisse, die die Schlussviertelstunde von „Die Amitié“ prägen.

Denn am Ende überschlagen sich die Ereignisse und der Film nimmt einen Verlauf, der so nicht zu erwarten war. Peter Ott und Ute Holl zeigen Mut für das Extreme und Groteske, wenn es zu unerwarteter Nacktheit, ungewöhnlichen Kameraperspektiven und zu schrägen Monologen sowie Anschuldigungen kommt. Vorgetragen von bewusst überzeichneten, skurrilen Figuren, die auch schon mal direkt in die Kamera blicken und sich damit an den Betrachter wenden.

 

Björn Schneider