Die Blüte des Einklangs

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Mit ihren stilistisch unverwechselbaren Filmen, die tief in die Mythen und Geschichten ihrer japanischen Heimat eintauchen, hat sich Naomi Kawase einen Namen gemacht. Mit „Die Blüte des Einklangs“ hat sie nun zum ersten Mal auch auf Englisch gedreht, dazu mit dem internationalen Star Juliette Binoche in der Hauptrolle, was ihren Film zugänglicher macht, aber auch weniger magisch als ihre besten Werke.

Webseite: www.die-bluete-des-einklangs.de

Vision
Japan/ Frankreich 2018
Regie & Buch: Naomi Kawase
Darsteller: Juliette Binoche, Masatoshi Nagase, Takanori Iwata, Minami, Mirai Moriyama, Koh, Kazuko Shirakawa, Jiji Boo, Min Tanaka, Mari Natsuki
Länge: 109 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 31. Januar 2019

FILMKRITIK:

Die französische Journalistin Jeanne (Juliette Binoche) ist zusammen mit ihrer Übersetzerin Hana (Minami) unterwegs in einem unendlich scheinenden japanischen Wald. Sie sucht eine Pflanze namens Vision (so auch der pragmatische wie vieldeutige Originaltitel), die nur alle 997 Jahre blühen und heilende Kräfte besitzen soll.
 
Schmerzen unterschiedlichster Art können mit ihr geheilt werden, das bestätigt die sehr alte, blinde Aki (Mari Natsuki), die ebenso in einer einsamen Hütte mitten im Wald liegt wie der überaus schweigsame Tomo (Masatoshi Nagase). Trotz seines offensichtlich zurückgezogenen Lebens nimmt er die beiden Frauen auf und beginnt nach Hanas Abreise eine Affäre mit Jeanne.
 
Doch auch Jeanne muss den Wald bald verlassen, vorübergehend, und als sie einige Zeit später zurückkommt findet sie den jungen Wanderer Rin (Takanori Iwata) in Tomos Hütte vor, der ihren Platz eingenommen zu haben scheint. Doch nach und nach stellt sich heraus, dass die Figuren mehr miteinander zu tun haben, als sie ahnen, dass sie verbunden sind, jedoch nicht unbedingt in dieser Zeit, an diesem Ort.
 
Seit gut 20 Jahren laufen die Filme von Naomi Kawase regelmäßig auf den großen Festivals der Welt, hat sich die japanische Regisseurin mit einer ganz eigenen Bildsprache einen Namen gemacht. Höchst enigmatisch sind die meisten ihrer Filme dabei, vom Versuch durchzogen, in das Wesen der japanischen Seele einzutauchen, die Substanz des Schintoismus, nach dem alle Aspekte der Welt beseelt sind, in Bildern auszudrücken, was je nach Sichtweise mal als esoterisch, mal als transzendent beschrieben wird.
 
Mit ihrem vorletzten Film „Kirschblüten und rote Bohnen“ sprach sie dann zum ersten Mal auch ein Mainstream-Publikum an, erzählte eine klare, einfache Geschichte, wovon diesmal keine Rede sein kann. Immer enigmatischer wird „Die Blüte des Einklangs“ auf Dauer, immer weniger klar wie die Zeitsprünge zu erklären sind, ob man hier Erinnerung sieht, Träume oder, ja, Visionen.
 
Dieser allzu ungefähre Ton, der mehr Rätsel aufgibt als auflöst, wird noch unterstützt von Kawases Entscheidung, zum ersten Mal in einer ihr fremden Sprache zu drehen. Ein wenig französisch, aber vor allem englisch hört man, hört Sätze wie „Liebe ist wie die Wellen“ oder „Ich sehe mit dem Herzen“, Sätze, die man profund oder banal finden kann, die sich auf Englisch aber allzu deutlich anhören und dem Geschehen viel von seiner mysteriösen Qualität nehmen.
 
Denn was Kawase auch hier, einem letztlich schwächeren Film, zeigt, ist ihr großes Gespür für Bilder von der Natur, von Wolken und Pflanzen, Blüten und Bächen, für eine unwirkliche Atmosphäre, die in eine fremde Welt entführt, hineinsaugt, von der man oft nicht genau weiß was dort passiert, deren Sog man sich aber nur schwer entziehen kann.
 
Michael Meyns

In der französisch-japanischen Koproduktion „Die Blüte des Einklangs“ findet Juliette Binoche unter der Leitung der Regisseurin Naomi Kawase zu sich selbst. Das lässt viel Raum für Interpretation.

Die aus Frankreich stammende Reisejournalistin Jeanne (Juliette Binoche) fährt in die japanischen Wälder in der Nähe von Nara, um sich auf die Suche nach einer seltenen Pflanze zu begeben, die nur alle 997 Jahre blühen soll. Nicht einmal die Einheimischen haben je etwas von „Vision“ gehört. Trotzdem lernt Jeanne auf ihrer Reise einige von ihnen kennen. Vor allem der einsiedlerisch lebende Förster Tomo (Masatoshi Nagase) wird für sie noch eine wichtige Rolle spielen. Erst verlieben sich die beiden ineinander. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse…
 
Naomi Kawase (Radiance) erzählt in ihren Filmen oft von Familie. Das hat den Grund, dass die japanische Regisseurin selbst in jungen Jahren von ihren Eltern verlassen wurde und ihre Kindheit anschließend bei ihren Großeltern verbrachte. „Die Blüte des Einklangs“ macht da keine Ausnahme, auch wenn die Autorenfilmerin hier beileibe nicht so offensiv vorgeht, wie in ihren früheren Filmen. Ihr Film ist eine kosmische Auseinandersetzung mit emotionalen Verbindungen und lässt dabei viel Raum für Spekulation und Interpretationen. Darin steckt ein wenig Terrence Malick, ein Hauch Darren Aronofsky, aber eben auch viel Naomi Kawase. Und mit dieser Mischung muss man als Zuschauer schon warm werden, um sich voll und ganz auf das Seherlebnis einzulassen.
 
Wer nichts mit Esoterik anfangen kann, der ist in „Die Blüte des Einklangs“ verloren. Naomi Kawase setzt voraus, dass man derartigen Thematiken gegenüber zumindest aufgeschlossen ist; gleichzeitig macht sie immer wieder deutlich, dass die auf der Leinwand dargestellten Ereignisse nur bedingt unserem Verständnis für Realität entsprechen. Heißt im Klartext: Kawase weiß darum, dass die Fantasy-Elemente in ihrem Film genau das sind: Fantasy. Und trotzdem trägt sie ihren Film mit einer Aufrichtigkeit vor, die es dem Zuschauer leichtmacht, mit den Figuren zu sympathisieren. Vor allem die Liebesgeschichte zwischen Jeanne und Tomo, die sich ganz intuitiv aller Unterschiede zum Trotz entwickelt und in mehreren hochästhetisch gefilmten Sexszenen ihren – im wahrsten Sinne des Wortes – Höhepunkt findet, reißt mit und lässt den Zuschauer tief in die Gefühlswelt Jeannes eintauchen-
 
Doch „Die Blüte des Einklangs“ ist nicht einfach nur eine Geschichte über zwei Liebende, sondern auch eine über den Einklang; zwischen Mensch und Natur, Körper und Seele sowie Mensch und Mensch. In spektakulären Close-Ups und vor einer berauschenden Tonspur bekommen wir das „Wunder Wald“ aus ganz neuen Perspektiven zu sehen und dadurch auch ein Gespür dafür, wie der Mensch das darin leben längst verlernt hat. Wenn hier Bäume gefällt oder Tiere erlegt werden, brennen sich solche Momente ganz besonders tief ins Herz. Oft reicht es aus, einfach nur darin zu schwelgen, was Kameramann Arata Dodo hier an Bildgewalten auffährt. Vor seiner Kamera sehen sogar die im letzten Drittel eingestreuten Effekte immer noch sehenswert aus, auch wenn es hier schon jeder Menge Interpretationswillen des Zuschauers bedarf, um nach der zu Beginn sehr stringenten Erzählung hier nicht den Faden zu verlieren, wenn „Die Blüte des Einklangs“ endgültig ins Esoterische abgleitet.
 
Antje Wessels