Die Fabelmans

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Jahrzehntelang hat Steven Spielberg sehr erfolgreiche Filme gedreht, in denen es immer wieder um abwesende Väter und zerrissene Familien ging. Nun, mit 75 Jahren, hat der erfolgreichste Regisseur der Filmgeschichte mit „Die Fabelmans“ den autobiographischsten Film seiner Karriere gedreht: Einen Schlüsselfilm, der weit geöffnete Türen öffnet.

The Fabelmans
USA 2022
Regie: Steven Spielberg
Buch: Tony Kushner & Steven Spielberg
Darsteller: Michelle Williams, Paul Dano, Seth Rogen, Gabriel LaBelle, Jeannie Berlin, Julia Butters, Robin Bartlett, Keeley Karsten, Judd Hirsch

Länge: 151 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 9. März 2023

FILMKRITIK:

Der kleine Elliot fand in „E.T.“ einen Ersatzvater, Leonardo DiCaprio in „Catch me if you can“ haderte mit der Scheidung seiner Eltern, selbst Indiana Jones hatte eine Vaterkomplex. Die Liste der Filme von Steven Spielberg, in denen seine (meist männlichen) Hauptfiguren mit einem abwesenden Vater zu tun hatten, in schwierigen Familienverhältnissen lebten, ließe sich noch erweitern. Immer wieder hatte Spielberg in Interviews angedeutet, wie sehr ihn die Scheidung seiner Eltern belastet hat, wie sie sein Bild einer perfekten Familie, die in einer typischen amerikanischen Familie in einem Reihenhaus mit Zaun vor der Tür und Straßenkreuzer in der Garage aufwächst, zerstört hat.

Nun, im Herbst seiner Karriere, da seine Eltern gestorben sind, wagt sich der erfolgreichste Regisseur der Filmgeschichte, der sich Anfangs mit Genrefilmen einen Namen machte, bevor er mit sogenannten anspruchsvollen, bei den Oscar-Verleihungen erfolgreichen Filmen, auch Prestige gewann, an seinen autobiographischsten Film – der weit davon entfernt ist, zu seinen besten zu zählen.

Zusammen mit dem vielfach ausgezeichneten Theater-Autor Tony Kushner schrieb Spielberg das Drehbuch zu „Die Fabelmans“, in dem Michelle Williams und Paul Dano seine leicht fiktionalisierten Eltern Mitzi und Burt spielen. Sie war eine talentierte Musikerin und Tänzerin, die ihre künstlerischen Ambitionen jedoch aufgab, um sich um die Familie zu kümmern: Um ihrem Mann, einem Computeringenieur, den Rücken frei zu halten und sich um den Sohn Sammy (Spielbergs Alter Ego, anfangs gespielt von Mateo Zoryan, später, als Teenager, von Gabriel LaBelle) und die Töchter, Natalie, Reggie und Lisa zu kümmern.

Unbeschwert scheint das Familienleben in den 50er Jahren, Sammy beginnt sich langsam, fürs Kino zu interessieren, bekommt eine 8mm-Kamera geschenkt, mit der er zunehmend aufwändigere Filme dreht, doch dann muss die Familie nach Arizona umziehen. Begleitet wird sie dabei von Bennie (Seth Rogen), ein Kollege von Burt und Faktotum im Haus der Fabelmans, der besonders Mitzi sehr nahe steht.

Nach einem gemeinsamen Ausflug entdeckt Sammy schließlich versehentlich aufgenommenes Filmmaterial, auf dem Bennie Mitzi umarmt und küsst. Eine unbequeme Wahrheit, die sich in das Zelluloid gebrannt hat und den jungen Sammy in eine Lebenskrise stürzt. Wie nahe Spielberg in dieser Phase seines Lebens tatsächlich war sich vom Filmemachen abzuwenden muss ein Rätsel bleiben, denn natürlich ist auch „Die Fabelmans“ – wie der Titel schon andeutet – eine Fabel, ein Märchen, eine idealisierte Version einer Kindheit, der ersten Schritte des späteren Meisterregisseurs.

Typische Momente eines Coming-of-Age-Films sind zu sehen, Szenen, in denen der jüdische Sammy von den weißen, protestantischen Jungs seiner Schule getriezt wird, Probleme mit den Eltern, hadern mit dem Leben an sich. Ein wenig beliebig wirken diese Momente, generisch, oft gesehen, weit weg von der Magie, die Spielbergs Filme so oft ausgezeichnet hat. Amüsant sind zwar die ersten Gehversuche Sammys als Regisseur, an deren Ende die Begegnung mit einem berühmten Filmemacher aus der großen Ära des klassischen Hollywoods steht, doch was die Geschichte des jungen Spielbergs so besonders gemacht hat, bleibt unklar.

Wie sehr Spielberg die Probleme seiner Familie, die Scheidung seiner Eltern, die Zerstörung seiner Illusion, belastet haben, hat er in zahlreichen Filmen seiner illustren Karriere immer wieder thematisiert. In „Die Fabelmans“ bringt er nun etwas auf den Punkt, was unterschwellig von Beginn seiner Karriere zu spüren und zu sehen war. Doch was lange Subtext war ist nun Text und dabei alles andere als subtil. Vielleicht musste Spielberg diese Geschichte endlich aus seinem Kopf bekommen, doch ein breites Publikum scheint sich für Spielbergs Kindheit nicht zu interessieren: In den USA ist „Die Fabelmans“ der größte Flop in der Karriere des ansonsten so unfehlbaren Steven Spielbergs gewesen.

 

Michael Meyns