Die Familie

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25 Jahre ist der Fall der Mauer nun schon Geschichte, doch die Aufarbeitung der Verbrechen der DDR ist noch in vollem Gange. Besonders die so genannten „Mauertoten“ lasten schwer auf der Geschichte, nicht zuletzt aber auf den Angehörigen der Opfer, denen Stefan Weinert seinen berührenden Dokumentarfilm „Die Familie“ widmet.

Webseite: www.thefamily-film.de

Deutschland 2013 - Dokumentation
Regie, Buch: Stefan Weinert
Länge: 92 Minuten
Verleih: Basis-Film Verleih
Kinostart: 6. November 2014
 

FILMKRITIK:

Einmal mehr ist in diesen Tagen die Frage entbrannt, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Angesichts der wagen Definition des Begriffs eine schwer zu beantwortende Frage, angesichts des im Zuge der Diskussion oft benutzten Vergleichs von Diktaturen und ihrer Missetaten auch eine besonders unappetitliche. Auch wenn Stefan Weinerts Dokumentation „Die Familie“ diese Frage weder explizit stellt noch beantwortet, ist nach den 92 Minuten des Films nur eine Antwort möglich.

Viele Aspekte werden in  „Die Familie“ angeschnitten, im Mittelpunkt stehen jedoch immer die Menschen, die Hinterbliebenen von Mauertoten, von oft sehr jungen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen die DDR verlassen wollten und beim Versuch zu fliehen ums Leben kamen. Manche tatsächlich durch Unfälle, die breite Mehrheit durch den Schiessbefehl, der den an der Mauer und anderen Teilen der deutsch-deutschen Grenze Dienst tuenden Grenzposten dezidiert den Befehl gab, Republikflucht mit allen Mitteln zu verhindern.

Ausführlich lässt Weinert diese Angehörigen zu Wort kommen, gibt ihnen viel Raum, sich an ihre Söhne, Enkel oder andere Verwandte zu erinnern, die aus der DDR fliehen wollten und ums Leben kamen. In manchen Fällen unter bis heute ungeklärten Umständen, manchmal gar, ohne das den Angehörigen eine Leiche übergeben, eine wirkliche Beerdingung, ein Abschied möglich war. Die Erinnerung belastet die Angehörigen immer noch schwer, seit Ende der DDR suchen viele von ihnen Antworten, halten mit Gedenkveranstaltung die Erinnerung an die Opfer am Leben.

Viele kleine Mahnmale entstanden so im Lauf der Zeit an der ehemaligen Grenze der deutschen Staaten, kleine Erinnerungstafeln, auf denen die Biographie, der Fluchtversuch und der Tod eines Opfers beschrieben sind. Erinnerungstafeln, die zum Teil im tiefen Wald zu finden sind, teilweise auch direkt neben einer McDonalds-Filiale, ein eindringliches Bild für den Umgang mit der Vergangenheit.

Doch Weinert geht es nicht um einfache schwarz-weiß Bilder, um Schuldzuschreibungen. Wenige Täter kommen zu Wort, vor allem ein Grenzbeamter äußert sich: Zwar nicht vor der Kamera, aber seine Stimme ist zu hören, die die andere Seite beschreibt. Die eines jungen Grenzsoldaten, der während seines Wehrdienstes Dienst an der Mauer tat und in eine Situation gedrängt wurde, auf die er kaum Einfluss hatte. Die Frage des Befehlsgehorsams kommt hier ins Spiel, die Frage, ob es so einem jungen Soldaten überhaupt möglich gewesen ist, den Schiessbefehl zu ignorieren.

Dieser Soldat sieht sich ebenfalls als Opfer des Regimes, eine Selbstwahrnehmung, die die Angehörigen vermutlich ablehnen würden, die Weinert jedoch im Raum stehen lässt. Und sich damit in ähnlichen Bahnen bewegt wie unlängst Annekatrin Hendel in „Anderson“, ihrem Film über den Autor und Stasi-Spitzel Sascha Anderson. Nicht um die Relativierung von Schuld geht es beiden Filmen, sondern darum zu zeigen, wie schwierig es in einem Regime wie der DDR war, sich moralisch zu verhalten. Diese vielschichtige Herangehensweise zeichnet auch „Die Familie“ aus und macht Stefan Weinerts Film so zu einem bemerkenswerten Dokument der Hinterlassenschaften der DDR.
 
Michael Meyns