Die fast perfekte Welt der Pauline

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Sie könnte keiner Maus etwas zuleide tun, und doch erschreckt die als Alleinunterhalterin bei Kindergeburts- und Seniorennachmittagen ihren Lebensunterhalt verdienende Pauline eines Tages einen Mann derart, dass der in ein Koma fällt. Von Schuldgefühlen geplagt besucht sie ihn täglich im Krankenhaus, nistet sich in seiner Wohnung ein, übernimmt gar seinen Platz an einer Musikschule. Amüsant, charmant und ein kleines bisschen verrückt ist diese leichte Komödie von Regiedebütantin Marie Belhomme durchaus. Isabelle Carré wandelt darin als ewiger Tollpatsch auf den Spuren von Sandra Bullock.

Webseite: www.neuevisionen.de

OT: Les chaises musicales
Frankreich 2015
Regie: Marie Belhomme
Darsteller: Isabelle Carré, Carmen Maura, Philippe Rebbot, Nina Meurisse, Laurent Quere
81 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 25.8.2016
 

FILMKRITIK:

Auf den abreissbaren Inseratkopien, die sie an Laternenpfähle ihrer bretonischen Kleinstadt klebt, bezeichnet sie sich als „beinahe professionelle“ Geigerin. Nachgefragt wird die Ende 30-jährige Pauline aber vor allem als Alleinunterhalterin zur Bespaßung junger bis alter Gruppen, wozu sie mal in ein Bananenkostüm schlüpft oder sich als Darth Vader verkleidet. Im Gewand des heroischen Jedi-Ritters ist Pauline eines Tages unterwegs, um kurzfristig an einen Auftritt bei einem Kindergeburtstag noch eine Zusatzschicht beim Seniorenverein „Armes Elend“ dranzuhängen (als Leiterin als gern gesehener Überraschungsgast spielt Carmen Maura).
 
Die gerne etwas schusselige und sich spürbar nicht immer ganz wohl in ihrer Haut fühlende Musikerin verfährt sich auf dem Weg dorthin allerdings und erschreckt in ihrer Not aufgrund ihres dunkelmächtigen Aufzugs dann ausgerechnet jenen Mann, der ihr vielleicht den richtigen Weg hätte zeigen können, derart, dass der in eine Baugrube stürzt und ins Koma fällt. Groß um den Unbekannten kümmern kann sie sich aufgrund der für sie fortgeschrittenen Zeit nicht mehr, hält ihn gar für tot, verständigt allerdings noch den Notarzt. Vom Koma liest sie erst am nächsten Tag in der Zeitung (gute Frage an dieser Stelle: können George Lucas oder jetzt eben der Walt Disney-Konzern haftbar gemacht werden für die Folgen eines solchen Malheurs?).
 
Pauline fühlt sich schuldig, besucht den Unglücksraben im Krankenhaus, wo sie sich als dessen Cousine ausgibt. Bald zieht sie auch in dessen Wohnung ein und kann ihn als Lehrer an der örtlichen Musikschule ersetzen. Das Leben für sie läuft in dieser Phase nahezu perfekt, auch wenn sie aufpassen muss, sich gegenüber des Mannes wirklichen Angehörigen, Freunden und Kollegen nicht in Widersprüche in Bezug auf ihre Rolle als vermeintliche Verwandte zu verstricken. Hier wird denn auch deutlich, dass sich diese aufgrund des ewig kindlichen Charakters von Pauline in Phantastereien flüchtende Komödie auf dünnem Eis bewegt. Mehr noch, als die gesamte Last an Komik und Imagination auf den Schultern dieser einen Figur lastet, sieht man mal von kleinen Nebenschauplätzen wie eben bei den Senioren oder den Kindergeburtstagen ab, wo das situative Spaßmoment letztlich aber auch immer nur variiert. Der flotte und heitere Schwung der ersten Hälfte geht hinten hinaus leider etwas flöten.
 
Doch auch wenn Pauline hier auf halbwegs voraussehbaren Pfaden wandelt, so heißt das nicht, dass man sich mit ihrer Situation nicht doch auch identifizieren könnte und auf ein möglicherweise romantisches Ende für sie hoffen würde. Gerade in diesem Belang erweist sich Isabelle Carré („Die Sprache des Herzens“, „Die anonymen Romantiker“) als sehr gute Besetzung für eine sensible und unsichere Frau, die trotz kleinerer Macken sympathisch scheint und noch immer nach dem Platz in ihrem Leben sucht, sich darin aber bewegt wie ein weiblicher Pierre Richard.

An eine poetische Grundstimmung dockt der Film nicht zuletzt auch mit seinem deutschen Titel an, erinnert der doch ein wenig an „Die wunderbare Welt der Amélie“, was sich auch in der verspielt-verträumten Filmmusik äußert. Erinnerungen weckt „Die fast perfekte Welt der Pauline“ (im französischen Original heißt sie Perrine) aber auch an die US-Produktion „Während Du schliefst“ (While you were sleeping“ von Jon Turteltaub aus dem Jahr 1995. Damals wachte Sandra Bullock als vermeintliche Verlobte am Bett eines ins Koma gefallenen Mannes, den sie nach einem Sturz auf ein Zuggleis rettete. Der Fokus lag hier allerdings mehr auf dem romantischen Moment denn wie hier in Marie Belhommes leichter Sommerkomödie auf den komischen Situationen, in denen sich die Hauptfigur aufgrund ihres Charakters im Grunde eher unfreiwillig hineinmanövriert.
 
Thomas Volkmann