Die Flügel der Menschen

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Wie schon in „Der Dieb des Lichts“ beweist der kirgisische Regisseur Aktan Arym Kubat auch in seinem neuen Film „Die Flügel der Menschen“ großes Gespür für Zwischentöne und subtiles Erzählen. Dadurch entgeht er auch hier den Fallstricken, in denen sich für den westlichen Markt gedrehte Filme aus und über „exotische“ Länder und Kulturen oft verstricken.

Webseite: www.neuevisionen.de

Centaur
Kirgistan/ Niederlande/ Deutschland/ Frankreich/ Japan 2017
Regie: Aktan Arym Kubat
Buch: Aktan Arym Kubat & Ernest Abdyjaparov
Darsteller: Nuraly Tursunkojoev, Zarema Asanalieva, Aktan Arym Kubat, Taalaikan Abazova, Ilim Kalmuratov
Länge: 89 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 28. Dezember 2017

FILMKRITIK:

Im Norden Kirgisiens, in einer kleinen, abgelegenen Ortschaft lebt ein gut 60jähriger Mann, der von allen nur Zentaur genannt wird. Zusammen mit seiner taubstummen Frau Maripa und dem Sohn Nuberdi, der noch nie ein Wort von sich gegeben hat, führt er eine einfache Existenz. Des Nachts bricht Zentaur immer wieder auf und macht sich auf die Suche nach einem Pferd. Nicht um es zu stehlen, sondern es zu reiten, um wie der Wind über die weiten Steppen zu rasen, um Momente der Freiheit zu spüren, die in seinem Leben sonst fehlen.

Früher war Zentaur der Filmvorführer des Ortes, doch das ist lange vorbei, das Kino in eine Moschee verwandelt. Dort soll Zentaur Halt finden, nachdem sein ihm entfremdeter Bruder Karabay ihn als Pferdedieb entlarvt hat. Karabay hat es geschafft, hat Geld und Macht, Zentaurs dagegen findet vor allem Vergnügen daran, auf dem Markt das einheimische Getränk Maksym zu trinken und dabei mit der Händlerin Sharapat zu flirten. Ganz harmlos eigentlich, doch in der konservativen kirgisischen Gesellschaft sorgt schon das für Gerüchte, deren Folgen Zentaur bald zu spüren bekommt.

„Pferde sind die Flügel der Menschen“ lautet ein altes, kirgisisches Sprichwort, aus der Zeit, als das kirgisische Volk noch nomadisch lebte und durch dir Weiten der zentralasiatischen Steppe zog. Diese Zeiten sind jedoch lange vorbei, als Teil der Sowjetunion wurden die Kirgisen zur Sesshaftigkeit gezwungen, seit ihrer Unabhängigkeit suchen sie nach ihrer Identität und wirken oft verloren. Welche Auswirkungen das haben kann, davon erzählt der bekannteste kirgisische Regisseur Aktan Arym Kubat, dessen Geschichten sich auf dem Papier oft wie jene typischen Erzählungen lesen, in denen Tradition und Moderne gegeneinandergestellt und oft genug gegeneinander ausgespielt werden, Erzählungen und Filme, in denen in malerischen, fast kitschigen Bildern, eine vergangene Welt beschworen wird.

Kubat dagegen deutet die vielfältigen Entwicklungen, denen die kirgisische Gesellschaft in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht unterworfen ist, nur an, ohne sie zu bewerten. Manchen Verlust an Tradition mag er bedauern, aber er verklärt die Vergangenheit, das vermeintlich einfachere Leben nicht, sondern geht mit seiner Analyse tiefer. Einen Verlust an Mitmenschlichkeit und Wärme beklagt er, deren Ursachen vielfältig sind. Einerseits mag der Kapitalismus schuld sein, doch Karabay – der reichste Mann des Dorfes – ist keineswegs ein selbstgerechter Millionär, sondern hat sich manches Gespür für die Vorzüge der Tradition bewahrt. Problematischer erscheint da schon die Religion, der Islam, der durch Investitionen aus Katar oder Saudi-Arabien immer weiter ausbreitet und den traditionellen, schamanistischen Glauben zunehmend verdrängt.

Doch auch diesbezüglich versagt sich Kubat einer allzu deutlichen Anklage, deutet lieber an, öffnet Räume und begnügt sich damit, von einem Mann und seiner Familie zu erzählen. In klaren Bildern tut er dies, die nur ganz selten auch nur ansatzweise kitschig wirken, stattdessen einfach die natürliche Schönheit der kirgisischen Landschaft zeigen, die außerhalb der Städte noch so ursprünglich ist, wie vor hunderten von Jahren. Doch auch hier ändert sich das Leben, die Umgangsformen, notgedrungen und mit nicht immer angenehmen Folgen, wie Kubat erneut auf eindrucksvolle Weise zeigt.

Michael Meyns