Die Katzen vom Gokogu-Schrein

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Katzen gehen immer. Nicht nur als TikTok-Clips sorgen sie für Clicks, auch abendfüllend auf der Leinwand sind die Samtpfoten populär, wie „Kedi“, jene Doku über die Straßenkatzen von Istanbul erfolgreich bewies. Diesmal sind schnurrende Streuner in Japan das Objekt der dokumentarischen Begierde. An einem kleinen Schrein am Meer werden sie von den Anwohnern liebevoll versorgt und mit Namen versehen. Ganz nebenbei zeichnet die Doku mit teilnehmender Beobachtung ein Bild der japanischen Bevölkerung im Mikrokosmos. „Von Katzen und Menschen“ könnte der Titel dieser entschleunigten, fast meditativen Dokumentation lauten. Im Abspann wird jeder Vierbeiner namentlich genannt, sogar ein „Michael“ findet sich im kleinen Katzen-Universum der japanischen Provinz.

Webseite: http://www.fugu-films.de/site_german/german_home_gokogu_no_neko.html

Japan 2024
Regie: Kazuhiro Soda
Filmlänge: 119 Minuten
Verleih: fugo-films
Kinostart: 5. Dezember 2024

FILMKRITIK:

Für die einen ist es das Messer ohne Klinge, dem der Griff fehlt. Für die anderen ist es ein meditatives Leinwand-Erlebnis der entschleunigten Art. Bei Japans eigenwilligem Doku-Filmer Kazuhiro Soda gilt stets der Weg als Ziel. Das Prinzip Hoffnung bestimmt die Dreharbeiten, die Hoffnung auf etwas Interessantes zu stoßen. Einen Plan oder ein Konzept gibt es nicht. Irgendwie, irgendwo, irgendwann wird sich schon ein bisschen etwas finden. Katzen als Objekt der dokumentarischen Begierde erweisen sich da als cleverer Schachzug. Die putzigen Pelztiere sind bewährte Sympathieträger. Das finden auch die Bewohner im japanischen Ushimado. Am dortigen Shintō-Schrein Gokogu hat es sich eine kleine Katzen-Kolonie bequem gemacht. Von den Menschen werden sie umsorgt, mit Futter und Streicheleinheiten. Wenn sie in Käfigen gefangen werden, um beim Tierarzt kastriert zu werden, entschuldigen sich die freiwilligen Helfer regelrecht bei den freiheitsliebenden Streunern. Einmal im Jahr sind solche Gemeinschaftsaktionen notwendig, damit die Population nicht überhand nimmt. So manche Einheimischen erweisen sich derweil als kleine Katzenhasser, erschweren die üppige Hinterlassenschaften den Anbau in den Gärten erheblich.

Streunend wie die pelzigen Vierbeiner verhält sich Regisseur Kazuhiro Soda bei seiner Doku. Neben dem Blick mit der Kamera auf die niedlichen Tiere, schweift er immer wieder ab, um mit zufällig Anwesenden zu plaudern. Die erzählen ganz zutraulich von Kindheitserlebnissen, vom Krieg oder von den Freuden des Angelns. Umgekehrt fragt eine Schulklasse neugierig nach dem Lieblingsessen des Regisseurs oder will wissen, was es mit dem flauschigen Windschutz des Mikrofons auf sich hat. Alles ziemlich banal? Auf den ersten Blick allemal. Doch je länger man zuschaut, desto mehr kleine Welten öffnen sich ganz nebenbei. Ein Jahr lang, von Kirschblüte zu Kirschblüte, ist die unaufdringliche Kamera zu Gast in dem beschaulichen Badeort. Sie hakt das Publikum unter bei diesem eindrucksvollen Entschleunigungs-Trip. Immer wieder führt der Weg jene hohe, weiße Steintreppe zum Schrein hinauf und wieder hinunter. Wenn die eingefangenen Katzen in den Käfigen von den Helfern nach unten auf die Straße getragen werden, geschieht das nicht einmal oder zweimal, sondern eben so oft, bis alle Tiere im Pritschenwagen verstaut sind. Zurück vom Tierarzt, müssen allesamt natürlich auch wieder nach oben gebracht werden. Wer beim Transport nicht hilft, zupft eben Unkraut oder pflanzt Katzenmelisse. Selbst wenn in der Ferne ein Taifun vorüberzieht, bleibt das Leben hier ein ruhiger Fluss der Bescheidenheit - und ziemlichen Zufriedenheit. Fast wie Actionszenen wirkt dann, wenn ein gebrechlicher Greis ganz selbstverständlich die steilen Stufen abwärts schreitet.

Vier Mal war Regisseur Kazuhiro Soda bereits Gast im Forum der Berlinale. „Ich wollte das (Er)Leben der Katzen, Menschen, Pflanzen, Insekten einfach allem, was rund um den Gokogu-Schrein ist, mit der ganzen Welt teilen“, sagte er dort nach einer ausverkauften Vorführung. Mit diesem, seinem zehnten „beobachtenden Film“, dürfte er auch im Kino-Alltag das Arthaus-Publikum begeistern. Die anrührenden Geschichten dieser flauschigen Doku könnten sogar Katzenhasser in ihren Bann ziehen.

Dieter Oßwald