Vielleicht reibt sich Helena Zengel manchmal selbst ungläubig die Augen. 2019 gelang der deutschen Jungschauspielerin als traumatisiertes Kind in „Systemsprenger“ der große Durchbruch. Es folgte unter anderem der Westernfilm „Neues aus der Welt“ (2020), in dem sie an der Seite von Hollywood-Größe Tom Hanks zu sehen war. Im Mai 2025 kommen nun gleich zwei fremdsprachige Produktionen mit Zengel in die Kinos. Zum einen das Dschungeldrama „Transamazonia“, zum anderen das Fantasy-Abenteuer „Die Legende von Ochi“, das von der angesagten US-Produktions- und Verleihfirma A24 auf den Weg gebracht wurde. Dem Debütwerk des Musikvideoregisseurs Isaiah Saxon hätte ein besseres Drehbuch gut zu Gesicht gestanden. Stimmungstechnisch zieht der märchenhafte Film jedoch in den Bann.
Über den Film
Originaltitel
The Legend Of Ochi
Deutscher Titel
Die Legende von Ochi
Produktionsland
USA
Filmdauer
96 min
Produktionsjahr
2024
Produzent
Wang, Jonathan / Carlson, Traci / Peete, Richard / Saxon, Isaia
Regisseur
Saxon, Isaiah
Verleih
PLAION PICTURES GmbH
Starttermin
01.05.2025
Die fiktive Insel Carpathia ist ein sagenumwobener Ort. Gelegen im Schwarzen Meer und fast komplett abhängig von der Landwirtschaft, scheint hier die Zeit still zu stehen. Zwischen Bergen, Wäldern und Wasser wächst Yuri (Helena Zengel) in dem Glauben auf, dass die in der Wildnis lebenden, angeblich brandgefährlichen Ochis – pelzige, affenartige Wesen mit blauen Gesichtern – ihre Familie zerstört haben. Ihr Bruder: tot. Die Mutter: fortgegangen. Einzig ihr Vater Maxim (Willem Dafoe) ist Yuri noch geblieben. Ein Mann, der eine Horde Jungen um sich schart, darunter auch den Quasi-Adoptivsohn Petro (Finn Wolfhard), und diese permanent zur Jagd auf die Ochis antreibt.
Die Teenagerin hinterfragt die von Maxim unaufhörlich wiederholten Schauergeschichten lange Zeit nicht. Als sie eines Tages aber ein verletztes Ochi-Baby entdeckt, dämmert ihr langsam, dass die verrufenen Geschöpfe weit weniger bedrohlich sind als angenommen. Kurzerhand büxt Yuri aus und will das kleine Wesen zurück zu seinen Artgenossen bringen. Unterwegs muss sie nicht nur einige brenzlige Situationen überstehen. Irgendwann trifft sie auch auf die geheimnisvolle Einsiedlerin Dasha (Emily Watson).
Erfreulich ist zunächst einmal, dass Kinodebütant Isaiah Saxon mit „Die Legende von Ochi“ einen originären Stoff vorlegt. Der Film basiert auf keiner Vorlage, sondern entspringt ganz den Überlegungen des Regisseurs und Drehbuchautors. In Zeiten, da gefühlt ständig Fantasy- oder Young-Adult-Geschichten mit Romanbezug auf den Leinwänden erscheinen, eine willkommene Abwechslung! Dass es sich hier um ein Erstlingswerk handelt, merkt man dem Familienabenteuer allerdings in erzählerischer Hinsicht an.
Yuris Entwicklung beispielsweise – ihr Aufbegehren gegen die patriarchal-paranoide Ordnung und ihren Weg zu neuen Erkenntnissen – hätte Saxon noch ein Stück genauer nachzeichnen können. Immer mal wieder wirkt der Film auf unproduktive Weise fragmentarisch. So, als wären im Schneideraum manche Szenen oder Gespräche der Schere zum Opfer gefallen. Schwer zu fassen ist auch die Nebenfigur Dasha, die betont weise Sätze von sich gibt und dramaturgisch mitunter die Funktion einer Dea ex machina übernimmt. Insgesamt werden die familiären Dynamiken und Beziehungen nicht sorgsam genug herausgearbeitet. Was zur Folge hat, dass das für Verständigung plädierende Finale emotional nicht ganz so stark mitreißt, wie es sich der Regisseur wohl wünscht.
Deutlich trittsicherer zeigt sich Saxon, wenn es um die Ausgestaltung der von ihm erdachten Welt und ihre Abbildung geht. „Die Legende von Ochi“ verbindet einen rauen, erdigen Look mit einer märchenhaften Aura und zahlreichen skurrilen Details. Wunderschön sind die Aufnahmen der dampfenden Wälder, beeindruckend die Impressionen der Schluchten und Täler (gedreht wurde in Rumänien), die immer wieder in den Blick der Kamera geraten. Die mit viel Retrocharme versehene Ausstattung atmet Verwitterung, gerät manchmal auch fast schon surreal – etwa in einer turbulenten Supermarktsequenz.
Während heutzutage viele Filmemacher nur allzu gerne auf digitale Hilfsmittel zurückgreifen, kommen in Saxons Fantasy-Mär oft handgemachte Effekte (unter anderem die Stop-Motion-Technik) zum Einsatz. Ein Umstand, der dem Zusammenspiel zwischen der ausdrucksstarken Helena Zengel und dem ungemein niedlichen Baby-Ochi enorme Glaubhaftigkeit verleiht. Keine Spur von der Künstlichkeit, wenn Darsteller mit computeranimierten Charakteren interagieren. Vor allem erwachsene Zuschauer dürften ein ums andere Mal einen Hauch von „E.T. – Der Außerirdische“ im Kinosaal erspüren.
Christopher Diekhaus