Die letzte Fahrt der Demeter

Zum Vergrößern klicken

Zum Untergang verdammt: In „Die letzte Fahrt der Demeter“ nimmt sich der gruselerprobte André Øvredal („Scary Stories to Tell in the Dark“) eines kurzen Abschnitts aus dem siebten Kapitel von Bram Stokers Romanklassiker „Dracula“ an und strickt daraus ein zweistündiges Schauerstück, das die Grundidee von Ridley Scotts einflussreichem Scifi-Schocker „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ aufs offene Meer verlagert. Wie der wohl berühmteste Vampir der Popkultur von Osteuropa nach England gelangt und die Crew des titelgebenden Handelsschiffes unnachgiebig dezimiert, schildert der Film in soliden Horrorbildern. Durchgender Nervenkitzel oder markerschütterndes Unbehagen lassen sich damit allerdings nicht erzeugen.

Webseite: https://www.upig.de/micro/die-letzte-fahrt-der-demeter

The Last Voyage of the Demeter
Regie: André Øvredal
Drehbuch: Bragi Schut jr., Zak Olkewicz nach einem Kapitelauszug aus Bram Stokers „Dracula“
Darsteller: Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cunningham, Woody Norman, David Dastmalchian, Chris Walley, Javier Botet, Jon Jon Briones u. a.

Länge: 119 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Universal Pictures Germany
Kinostart: 17.08.2023

FILMKRITIK:

Einen langen Atem brauchte es, um den Stoff überhaupt erst auf die große Leinwand zu hieven. Rund 20 Jahre steckte das Projekt in der sogenannten Entwicklungshölle fest. Auf Basis des Ursprungsdrehbuchs von Bragi Schut jr. wurden mehrere neue Fassungen geschrieben. Regisseure kamen und gingen. Diverse Schauspielernamen kursierten. Doch nie konnte das Ganze bis zur Drehreife vorangetrieben werden. Unter der kreativen Leitung des norwegischen Filmemachers André Øvredal gelang dann endlich der Durchbruch.

Der Horrorstreifen besticht, das deuten schon die ersten Minuten an, vor allem mit seinen Schauwerten. Szenenbildner Edward Thomas und sein Team lassen die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts glaubhaft wiederauferstehen, schaffen eine lebendige Welt, die sich, anders als in so manchem Historienfilm, kein bisschen künstlich anfühlt. Auch das Schiff, auf dem ein Großteil der Handlung spielt, wirkt authentisch, scheint den Geruch von Feuchtigkeit und Fäulnis zu verströmen. Die Figuren sehen nicht verkleidet aus, sondern erwecken zumindest den Eindruck, geradewegs aus der damaligen Epoche zu kommen.

Das Logbuch des Demeter-Kapitäns, das in Stokers Roman nur wenige Seiten umfasst, dient Øvredal und seinen Drehbuchautoren als Aufhänger für ein Kammerspiel auf hoher See, das dramaturgisch dem Slasher-Prinzip folgt. Aber der Reihe nach: Am Anfang steht ein kurzer Prolog, der bereits das grausige Schicksal des Handelsschiffes vorwegnimmt. Im Anschluss springt der Film vier Wochen zurück. An den Punkt, wo die Demeter in Bulgarien einen Stopp einlegt, um Fracht aufzunehmen und ein paar neue Männer anzuheuern. Auf Umwegen schafft es der Arzt Clemens (Corey Hawkins) auf den Schoner, der nach seiner Abfahrt Richtung England von unheimlichen Ereignissen heimgesucht wird. Was anfangs niemand ahnt: Mit einer der frischverladenen Kisten ist ein blutrünstiger Vampir namens Dracula an Bord gelangt. Dass sich die langsam ausdünnende Mannschaft in einer schier aussichtslosen Lage befindet, wird klar, als die unfreiwillig mitfahrende blinde Passagierin Anna (Aisling Franciosi) die Bühne betritt.

Das unheilschwangere Geraune, in das sich Horrorarbeiten gerne hüllen, geht auch in „Die letzte Fahrt der Demeter“ um. Gleich mehrmals wird der Crew vor dem Ablegen viel Glück gewünscht, wobei die Mahner offenkundig nicht an eine erfolgreiche Reise glauben. Mit einer alten Genreregel bricht der Film dagegen nur wenig später. Statt das Monster in seiner ganzen Pracht lange vor den Augen der Zuschauer zu verbergen, wie es Steven Spielberg in „Der weiße Hai“ so clever anstellte, gibt Øvredal sehr schnell den Blick auf den meuchelnden Mitreisenden frei. Eine Entscheidung, die mit Draculas Bekanntheit zusammenhängen könnte. Wir alle haben schließlich eine ungefähre Vorstellung, wie der Fürst der Finsternis aussieht. Ein großes Versteckspiel käme da vielleicht arg gezwungen rüber. Die Rolle des Blutsaugers spielt übrigens kein Geringerer als der über zwei Meter große, mit ungewöhnlich langen und dünnen Gliedmaßen ausgestattete Spanier Javier Botet, der schon zahlreiche Schreckgestalten der jüngeren Kinogeschichte verkörperte, darunter den krummen Mann in „Conjuring 2“ oder die Titelfigur aus „Slender Man“.

Die um sich greifende klaustrophobische Stimmung an Bord versucht Øvredal, greifbar zu machen. Etwa, indem er die Gesichter der Schauspieler immer wieder bildfüllend einfängt. Steigern soll die Anspannung natürlich auch das oft düstere Setting. Klassische Schockeffekte, die vor allem mit plötzlichen Bewegungen und einem Anschwellen der Tonspur arbeiten, kommen ebenfalls zum Einsatz. Zu einer permanent plärrenden Kirmesveranstaltung mutiert der Horrorfilm deshalb aber nicht.

Obwohl es ein paar wahrlich schweißtreibende Momente gibt, geht das Geschehen nur selten tief unter die Haut. Während Ridley Scott in seinem eingangs erwähnten Space-Slasher „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ die bedrohliche Atmosphäre permanent hochhält, geht Øvredals Dracula-Grusler manchmal ein bisschen die Puste aus. Den Druck, der auf den um ihr Leben kämpfenden Crewmitgliedern lastet, hätte man zum Beispiel noch verstärken können. Insgesamt spult „Die letzte Fahrt der Demeter“ das Horrorprogramm eine Spur zu routiniert ab, lässt nur wenig Platz für echte Überraschungen und hat Schwierigkeiten, den Antagonisten richtig in der Geschichte zu verankern. Überspitzt formuliert: Auf dem Schiff könnte auch ein x-beliebiges Monster sein Unwesen treiben – viel ändern würde es nicht.

 

Christopher Diekhaus