Die Libelle und das Nashorn

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Weder eine Libelle noch ein Nashorn haben in Lola Randls Kammerspiel einen Auftritt. Sie stehen aber sinnbildlich für eine Begegnung unterschiedlicher, im Grunde gegensätzlicher Charaktere. Der Zufall will es, dass sich die junge Autorin Ada Hänselmann und der 50 Jahre ältere Schauspielstar Nino Winter nach einer gemeinsamen Lesung unfreiwillig wieder sehen, nach zögerlichem Beschnuppern eine unvergessliche Nacht miteinander verbringen und sich in ihren Gedankenspielen sogar in einen Film noir hinein fantasieren. Starke Darstellerleistungen von Fritzi Haberlandt und Mario Adorf stehen einer gewissen Künstlichkeit der anfänglich steifen, später immer mysteriöseren Begegnung gegenüber.

Webseite:  www.nfp.de

Deutschland 2012
Regie: Lola Randl
Darsteller: Fritzi Haberlandt, Mario Adorf, Irm Hermann, Maria Faust, Rainer Egger, Samuel Finzi, Lina Beckmann, Sebastian Weber, Bastian Trost
81 Minuten
Verleih: NFP Marketing & Distribution
Kinostart: 6.12.2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Bei der Präsentation ihres neuen Buches wird es nur all zu deutlich: während bei der abschließenden Signierstunde kaum ein Lesungsgast Notiz von der Anfang 30-jährigen Romanautorin Ada Hänselmann (Fritzi Haberlandt) nimmt, wird der selbstverliebte Schauspielveteran und Memoirenerzähler Nino Winter (Mario Adorf) förmlich umlagert. Dass die beiden mehr als nur fünf Lebensjahrzehnte trennen, macht anschließend die Fahrt zu Flughafen, bzw. Bahnhof deutlich. Da sitzen sie auf der Rückbank der Shuttlelimousine und haben sich nicht sonderlich viel zu sagen. Man spürt lediglich: jeder der beiden hält sich für etwas ganz Besonderes. Doch weil sein Flug gestrichen und ihre Heimreise aus privaten Gründen wenig prickelnd erscheint, finden sich beide kurz darauf im gleichen Hotel wieder. Nun erst kommen sie zögerlich ins Gespräch.

Wobei, ist Gespräch hierfür das richtige Wort? Tatsächlich scheint, was sich in den folgenden Stunden dieser Nacht bis zur Abreise am nächsten Morgen ereignet, mehr ein Spiel zu sein. Ist es zunächst eine gewisse Ehrfurcht vor der Persönlichkeit und dem Charme des gefeierten Darstellers, die Ada in die Rolle der etwas naiven, Unsicherheit ausdrückenden Nachwuchsautorin drängt, so ist Nino umgekehrt von der direkten, nassforschen und auch vor persönlichen Fragen nicht zurückschreckenden Ada ebenso überrascht wie fasziniert. Das ein oder andere Gläschen Alkohol trägt sicher auch zur entspannten, irgendwie aber auch spürbar konstruierten Konversation bei, die sich von belanglosen Verhaltensweisen bei Mückenstichen über die Umkehrung von Geschlechterrollen und kindische Raufereien bis hin zur Vorstellung, Detektiv in einem film noir zu spielen, erstreckt.

Wenn bei diesem Rollenspiel, bei dem sich reale Beobachtungen im Hotel mit der Fantasie des Gangsterspiels vermischen, einem Auftragskiller hinterher geschlichen wird, dann ändert beim Wechsel auf die kriminalistische Ebene die musikalische Untermalung ihren Ton in Richtung eines für alte Hollywood-Kriminalfilme typischen Sound. Das hat was. Aus den Anfangs zugestanden zwei Mal fünf Fragen, die sich beide gegenseitig und ehrlich beantworten sollen, werden im Laufe des Abends Hunderte. Es sind bedeutende ebenso wie belanglose Fragen, existenzielle wie unsinnige, über die Liebe und das Leben, das Altern und den Tod.

Dass das gegenseitige Vertrauen steigt, lässt sich jedoch weniger an einer Entwicklung der Figuren feststellen, sondern einzig durch das, was nach Szenenwechsel als gegeben dargestellt ist. Wenn sich die beiden Nachtschwärmer völlig überraschend auf dem Hotelbett wieder finden, dann ist auch das ein Ausdruck all der Künstlichkeit der Begegnung wie auch der Unnatürlichkeit des verlassenen Hotelortes. Manchen Zuschauer mag die Situation der beiden an Sofia Coppolas Film „Lost in translation“ erinnern, aber der Spielort Dortmund ist eben nicht Tokio und so sollen Vergleiche an dieser Stelle unterbleiben.

Wie schon in ihrem Kinofilm „Die Besucherin“ gelingt es Lola Randl, eine dem Alltag entrückte Geschichte zu erzählen, an deren Ende die Figuren nach wie vor so manches Rätsel umhüllt. Haberlandt und Adorf verstehen es, durch ihren melancholisch–komödiantischen Ton Spannung zu erzeugen und Neugier zu wecken, Randl befeuert dies durch surrealen Einschübe und die kammerspielartige Atmosphäre des Films. Gleichwohl bleibt am Ende ein Gefühl ähnlich jenem zurück, wie Ada Hänselmann es nach der Lesung zu Beginn dieses unkonventionellen und distanzierten Films verspürte: nur Gast zu sein in einer Geschichte, die letztlich auch nur ein Traum hätte sein können.

Thomas Volkmann

Ursprünglich hatte das Team dieses Films etwas anderes vor. Es arbeitete an „Die Erfindung der Liebe“, als die Hauptdarstellerin mit nur 26 Jahren starb. Aus dieser tragisch-dramatischen Situation heraus entstand das Drehbuch von „Die Libelle und das Nashorn“.

Fritzi Haberlandt und Mario Adorf spielen zwei Schriftsteller, die sich aus Anlass einer Buchvorstellung und Lesung kennen lernen. Ihre Abreise (aus einem feudalen Dortmunder Hotel) verzögert sich, sie verbringen die folgende Nacht an der Bar, im Zimmer, redend, trinkend, sich voneinander erzählend, sich ausruhend.

Am Morgen ist alles vorbei. Oder doch nicht?

Denn ihre Gespräche, Ratespiele, Phantasiegebilde und Neckereien drehen sich um Intimes ebenso wie um Philosophisches, um Alltägliches ebenso wie um an sich Geheimes, um Läppisches ebenso wie um Gescheites. Das schafft eine gewisse Nähe – eine wehmütige Nähe auch, denn dieser Alte Nino Winter, den Mario Adorf gibt (Fritzi Haberlandt ist die junge Nachwuchsautorin Ada Hänselmann), weiß genau, dass so etwas Zufälliges aber auch Erhebendes nicht wieder kommen wird.

Die Dialoge dieses Zwei-Personen-Stücks plätschern so dahin. Sie hören sich interessant, aber manchmal auch banal an. Hier wäre literarisch Gehobeneres schöner gewesen. Dramaturgisch geschieht ebenfalls nicht viel.

Ganz anders die Schauspielkunst. Da treffen sich zwei, setzen sich zwei auseinander, spielen zwei, harmonieren zwei, die auf hohem Rang präsent sind. Die Haberlandt ist unberechenbar, indiskret, lästig, witzig, originell, Adorf pariert, lässt sich nicht an der Nase herumführen, wirkt darstellerisch souverän.

Wer immer Handlung und Thema unzureichend fände, an der Spielweise der beiden kann er sich auf jeden Fall delektieren. Und zwar sehr.

Thomas Engel