Die Lügen der Sieger

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Vielleicht geht es Deutschland einfach zu gut, eine Beschäftigung mit der politischen Realität des Landes, mit Macht und Korruption findet jedenfalls im Kino kaum statt. Willkommene Abwechslung ist da Christoph Hochhäuslers „Die Lügen der Sieger“, der in stilistisch und atmosphärisch herausragender Weise von Machtmissbrauch und investigativem Journalismus erzählt.

Webseite: www.dieluegendersieger-derfilm.de

Deutschland 2014
Regie: Christoph Hochhäusler
Buch: Christoph Hochhäusler, Ulrich Petzler
Darsteller: Florian David Fitz, Lilith Stangenberg, Horst Kotterba, Ursina Lardi, Avred Birnbaum, Gottfried Breitfuß
Länge: 112 Minuten
Verleih: NFP/ Warner
Kinostart: 18. Juni 2015
 

FILMKRITIK:

Berlin, Gegenwart. Fabian Groys (Florian David Fitz) ist investigativer Journalist für das Nachrichtenmagazin „Die Woche“, ein intuitiver Rechercheur, Einzelgänger, ein Spieler. Auch im Privaten, wo er mit 70er Jahre Porsche durch die Straßen der Hauptstadt braust und sein Geld bei illegalen Würfelspielen verschleudert. Zudem ist er zuckerkrank und muss regelmäßig Insulin spritzen.
 
Mit Nadja (Lilith Stangenberg) wird ihm eine junge, arg naiv wirkende junge Kollegin an die Seite gesetzt, die er mit einer uninteressanten scheinenden Recherche beauftragt: Ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat hat Selbstmord begangen, in dem er in einen Löwenkäfig stieg. Doch schnell findet Nadja eine heiße Spur: Der Soldat wurde möglicherweise durch hochgiftige Stoffe verrückt, die er als Arbeiter in einer Gelsenkirchener Recyclingfabrik eingeatmet hat. Immer tiefer stoßen Fabian und Nadja in ein Komplott vor, das weite Kreise zieht.
 
Geschichte wird von den Siegern geschrieben heißt es oft, ein Satz, den der amerikanische Dichter Lawrence Ferlinghetti konsequenterweise zu den Lügen der Sieger erweiterte, nach denen Christoph Hochhäuslers seinen Film benannte. Doch was sind Lügen und was ist die Wahrheit? Schon in den Paranoia-Thrillern der 70er Jahre, auf die sich Hochhäusler deutlich bezieht, scheiterten die Helden – die ebenfalls meist Journalisten waren – oft daran, eine wie auch immer geartete Wahrheit festzustellen bzw. begaben sich in zunehmende Gefahr, je näher sie dem Kern kamen.
 
So ähnlich funktioniert auch „Die Lügen der Sieger“, der einerseits klassische journalistische Tätigkeit zeigt, Recherche im Archiv, Gespräche mit Zeugen, Zusammensetzen von Hinweisen, dieser aber immer wieder den Boden unter den Füßen wegzieht. Dies geschieht in Gestalt der Mitarbeiter einer Beratungsagentur, die in einem von Glas dominierten Bürogebäude sitzen und den Ermittlungen von Groys entgegenwirken bzw. diese zu steuern suchen. Für wen genau sie arbeiten, welche Ziele ihr Auftraggeber verfolgt bleibt offen, wie so vieles in einem Film, der konsequent klare Aussagen oder Entscheidungen vermeidet, aber gerade durch diese Unbestimmtheit so konsequent und zeitgemäß ist. Denn wer könnte angesichts der Verschachtelung von politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Interessen, die sämtliche Bereiche der Welt beherrschen so genau sagen, warum diese oder jene Entscheidung gefällt wird, hier oder dort investiert oder Krieg geführt wird.
In diesem Gebilde aus Interessen spielt Hochhäuslers Film, den er in den von Glas und Beton geprägten Zentralen der Macht ansiedelt, in denen Männer mit Anzügen und Frauen im Kostüm die Geschicke der Republik in Händen halten.
 
Diese Welt wird mit dem Leben eines Journalisten kontrastiert, der etwas zu sehr Spielball in einem perfekt austarierten Drehbuchkonstrukt ist, um wirklich als Charakter zu überzeugen. Die anfangs angedeutete Diabetes-Erkrankung etwa, die so lange nicht mehr erwähnt wird, bis man sie fast vergessen hat, bis sie dann am Ende doch noch eine wichtige Drehbuchfunktion hat. Ähnlich funktioniert die Figur der Nadja, die unbestimmt zwischen naivem Dummchen und fähiger Journalistin schwankt und wohl vor allem die Kosten von Fabians stoischer Haltung andeuten soll. Doch diese etwas zu konstruierten Momente verblassen hinter den Qualitäten eines Films, der es wie kaum ein anderer deutscher Film der letzten Jahre wagt, sich mit der politischen Gegenwart zu befassen und zu zeigen, dass auch die deutsche Wirtschafts- und Politelite nicht vor Machtmissbrauch und korrupten Methoden zurückschreckt. Und vor allem, dass auch das deutsche Kino dazu in der Lage ist, einen packenden Polit-Thriller zu drehen.
 
Michael Meyns