Im argentinischen Thriller-Drama „Die Missetäter“ bestiehlt ein einfacher Schatzmeister seinen Arbeitgeber, um die eigene Rente aufzubessern. Sein Vorhaben beruht auf einem fein ausgeklügelten Plan, bei dem sein Kollege und eine mysteriöse Frau zentrale Rollen spielen. Filmemacher Rodrigo Moreno erzählt in seinem dreistündigen Werk von Großstädtern, deren Freiheitsdrang sie zu Straftaten verleitet. Heraus kommt ein stellenweise langatmiges, aber fantastisch gespieltes Heist-Movie der etwas anderen Art, das sich der Erzähltraditionen verschiedener Genres bedient.
Argentinien 2023
Regie: Rodrigo Moreno
Buch: Rodrigo Moreno
Darsteller: Daniel Eliás, Esteban Bigliardi, Germán De Silva, Margarita Molfino
Länge: 183 Minuten
Verleih: Mubi
Kinostart: 21. März 2024
FILMKRITIK:
Morán (Daniel Eliás) arbeitet als Angestellter in einer Bank in Buenos Aires. Er ist für seine Mitmenschen nahezu unsichtbar und führt ein insgesamt ereignisloses, eintöniges Leben, in dem ein Tag dem anderen gleicht. Um diesem zu entfliehen und sich etwas für den Ruhestand dazuzuverdienen, begeht er einen Raubüberfall. Sein weiterer Plan: zur Polizei, gestehen und schließlich eine überschaubare Gefängnisstrafe absitzen. Und in der Zwischenzeit hat Moráns Kollege Román (Esteban Bigliardi) die Beute sicher versteckt. Der Plan ist fast perfekt. Doch als Morán Román um dessen Mithilfe bittet, ahnt Morán noch nicht, dass am Ende möglicherweise doch alles ganz anders kommt.
„Man lebt nur, um zu arbeiten“, sagt Hauptfigur Morán an einer Stelle und dieser Satz bringt den ganzen Frust des Bankangestellten auf den Punkt. Um der unliebsamen Gesellschaft und der Arbeitswelt, die der Enddreißiger so hasst, zu entkommen, gibt es für ihn nur die Option des Geldraubs. Daniel Eliás spielt diesen bärbeißigen, knurrigen Zeitgenossen mit beabsichtigter und beachtlicher mimischer Ausdruckslosigkeit. Ohne jedoch darauf zu verzichten auf sensible Weise die Gefühle seiner Figur darzulegen – meist in Form von Gesten und Körperhaltung.
Überhaupt lebt „Die Missetäter“ vom nuancierten Spiel der gut aufgelegten, charismatischen Schauspieler. Neben Eliás zählen dazu noch Esteban Bigliardi als mal rätselhaft, mal etwas dröge wirkender Román. Und schließlich Laura Paredes als resolute Bankmitarbeiterin, die mit den Ermittlungen zum Raub betraut wird. Wie sie ihre Kollegen unter Druck setzt, mit Vorverurteilungen glänzt und überhaupt die Untersuchungen diktatorisch und radikal rücksichtslos durchzieht, bleibt im Gedächtnis. Es ist ein Heidenspaß, diesem Treiben zuzusehen.
Bei der Konfrontation unterschiedlicher Ansichten sowie differierender Personen und Lebensweisen geht Regisseur Rodrigo Moreno durchaus treffend und dynamisch vor. Jene Dynamik entwickelt sich gerade im Mit- und Gegeneinander zwischen Morán und seinem Komplizen Román. Nicht zuletzt da der eine für eine lange Zeit nur von seiner engen Gefängniszelle aus kommunizieren kann. Es ergeben sich Fallstricke und Hindernisse, für deren Überwindung Kreativität gefragt ist. Weniger kreativ, dafür umso emotionaler und gar regelrecht traumwandlerisch geht es in den idyllischen, malerischen Szenen des argentinischen Hinterlands zu. Moreno stellt dem großstädtischen Trubel, unter dem Morán so leidet, schließlich das ruhige, entschleunigte Landleben entgegen. Dieser Gegensatz ist ein Hauptthema des über dreistündigen Films.
Jene ausschweifende Laufzeit ist allerdings durchaus ein Problem in „Die Missetäter“. Denn mit ihr ergibt sich eine teils behäbige, bleierne Erzählweise, die auf der Stelle tritt. Und durch die sich eine herausfordernde Langeweile einstellt. Bei weitem nicht die ganze Zeit über, sondern in konstanter Unregelmäßigkeit. Immerhin schafft es Moreno durch den kreativen Einsatz seiner visuellen Techniken und Verfahren (Split-Screen, Überblenden), zwischendurch zu überraschen und mit unerwarteten Facetten von der bisweilen behäbigen Inszenierung abzulenken.
Björn Schneider