Die Mission der Lifeline

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Sie wurden vor Gericht gebracht, beschossen, diffamiert und bedroht: Eine Gruppe deutscher Menschenretter, die, trotz aller Widerstände und bürokratischer Hürden, ein Schiff ins Mittelmeer brachte, um Flüchtlinge vor dem sicheren Tod zu bewahren. Die Dokumentation „Die Mission der Lifeline“ erzählt ihre Geschichte. Der Film vermittelt auf nachdrückliche Weise einen Eindruck vom Alltag als Seenotretter und den damit einhergehenden Gefahren. Außerdem prangert er politische Missstände an, offenbart die Verfehlungen der EU und zeigt, wie weit Nationalismus und Fremdfeindlichkeit in manchen Regionen Deutschlands vorangeschritten sind.

Webseite: ravir.de

Deutschland 2018
Regie: Markus Weinberg, Luise Baumgarten
Länge: 68 Minuten
Kinostart: 23.05.2019
Verleih: ravir film

FILMKRITIK:

Filmemacher Markus Weinberg befasst sich in seiner neuesten Doku mit dem Verein „Mission Lifeline“. Seit anderthalb Jahren rettet der Seenotrettungsverein Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Zuvor mussten Gründer Axel Steier und sein Team für einen sehr langen Zeitraum Spenden sammeln, nicht zuletzt um ein geeignetes Boot kaufen zu können. Steier und seine Kollegen kommen aus Dresden. Einer Stadt, in der viele Menschen kein Verständnis für das Engagement des Vereins aufbringen. Neben öffentlichem Hass müssen Steier und die anderen immer wieder Angriffe, Ermittlungen und Prozesse über sich ergehen lassen.

Über zwei Jahre hat Weinberg die „Mission Lifeline“ mit der Kamera begleitet. Weinberg, der auch aus Dresden stammt und dort unter anderem Politikwissenschaft studierte, arbeitete vor seiner Tätigkeit als Filmemacher als Editor für den MDR und als Zeitungsjournalist. Bei „Die Mission der Lifeline“ wurde er von Luise Baumgarten unterstützt, die als Co-Regisseurin fungierte. Weltpremiere erlebte der Film im Februar 2019 im historischen Schubertkino in der Grazer Altstadt.

Der Höhepunkt der internationalen Flüchtlingskrise liegt mittlerweile rund dreieinhalb Jahre zurück und seit Merkels legendärem Ausspruch „Wir schaffen das!“ sind auch schon fast vier Jahre vergangen. Und obwohl das Thema Flucht und die Bilder von einsam im Meer treibenden Flüchtlingsbooten medial längst nicht mehr so präsent sind, ertrinken noch immer unzählige Menschen – allein im Mittelmeer und allein in den ersten Monaten 2019. Im Mittelmeer ist auch die „Lifeline“ unterwegs und der Zuschauer erhält durch die Doku unmittelbare, authentische Einblicke in den Alltag und die (lebensbedrohliche) Arbeit der Seenotretter.

Doch bevor „Die Mission der Lifeline“ Bilder von den Rettungsaktionen zeigt, geht es ein paar Monate zurück. In Interviews verdeutlicht Steier, der auch Vorsitzender von „Mission Lifeline“ ist, wie schwierig es ist, überhaupt ein passendes, für die gefahrvollen Einsätze geeignetes Schiff zu finden. Darüber hinaus ist Weinberg dabei, wenn die Mitglieder von erfahrenen Technikern und Bootsmännern die Grundlagen der Seefahrt vermittelt bekommen. Emotional sind die Szenen, die die feiernde Crew bei der Taufe der „Lifeline“ zeigen.

Nach langen Vorbereitungen konnte man im Herbst 2017 endlich in See stechen. Auf dem offenen Meer spielen sich immer wieder dramatische Momente an. Weinberg ist mit seiner Kamera jederzeit mittendrin und hautnah dabei. Etwa als die lybische Küstenwache die Lifeline gewaltsam an ihrer Mission hindert will – und dabei mehrfach internationales Recht bricht. Oder als die Lebensretter auf ein völlig überfülltes Schlauchboot mit über 200 erschöpften, zutiefst verängstigten Flüchtlingen treffen.

Abseits dieser Aufnahmen erfährt der Betrachter – auch durch Interviews mit den Vereinsmitgliedern – viel über die größten Gefahren solcher Rettungsaktionen, die Fluchtursachen und welche Mittel die EU anwendet, um die Flüchtlingsströme einzudämmen. Mindestens ebenso schockierend wie das Bild vom überfüllten Schlauchboot aber sind die Szenen, die sich hier bei uns in Deutschland, in diesem Fall in Dresden, abspielen. Zu sehen sind PEGIDA-Aufmärsche, bei denen die Menschen lautstark „Festung Europa, schließ‘ deine Grenzen“ skandieren. Oder nationalistisch gesinnte, ausländerfeindliche Deutsche, die Steier aufs Übelste beschimpfen und ihm vorwerfen, illegal Ausländer ins Land zu schleusen um beim Austausch der Bevölkerung mitzuhelfen. 

„Es sind keine Flüchtlinge, es sind Invasoren“, schimpft eine Passantin. Steier reagiert so, wie man auf solche inhaltsleeren Phrasen und unreflektierten Äußerungen reagieren sollte: Mit Nicht-Beachtung, ohne die Wutbürger eines Blickes zu würdigen.

Björn Schneider