Die Misswahl

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Mit ihrer unwiderstehlichen Hymne auf den Kampf der Frauenbewegung Anfang der 70er Jahre trifft Regisseurin Philippa Lowthorpe einen Nerv. Zeitgemäßer könnte ihre vielschichtige Hommage an weibliche Zivilcourage nicht sein. Basierend auf den wahren Ereignissen um die Wahl zur „Miss World“ 1970 in London, funktioniert ihr charmant inszenierter feministischer Agitprop mit seinen sorgfältig komponierten, detailgetreuen Bildern als packende Geschichtsstunde. "Die Misswahl" ist lebendiges, gefühlvolles, echtes Erzählkino. Ein unbedingt sehenswerter Frauenfilm mit der grandiosen Keira Knightly in der Hauptrolle sowie einem exzellenten Schauspielensemble, der auch ein männliches Publikum nicht kalt lassen sollte.

Trailer: www.youtube.com

OT: Misbehaviour
Großbritannien 2019
Regie: Philippa Lowthorpe
Darsteller: Keira Knightly, Gugu Mbatha-Raw, Jessie Buckley, Rhys Ifans, Greg Kinnear, Lesley Manville, Phillys Logan, Loreece Harrison, Clare Rosager, Suki Waterhouse
Drehbuch: Rebecca Frayn, Gaby Chiappe
Kamera: Zac Nicholson
Schnitt: Una Ni Dhonghaile
Länge: 106 Minuten
Verleih: Entertainment One, Vertrieb: Paramount
Kinostart: 1.10.2020

FILMKRITIK:

London 1970, Royal Albert Hall. „Ich habe genug von den Emanzen, die behaupten, das sei nichts als ein Viehmarkt“, verkündet der legendäre amerikanische Entertainer Bob Hope (Greg Kinnear) als Moderator des alljährlichen „Miss World“-Wettbewerbes. „Bei mir geht das bei einem Ohr rein und zum Euter wieder raus“. Neben Großveranstaltungen wie den Olympischen Sommerspielen oder der Mondlandung zählt der Schönheitswettbewerb zu den historischen Ereignissen. Doch der smarte Chauvi erlebt diesmal bei der weltweit beliebtesten Livesendung mit 100 Millionen Zuschauern an den Fernsehgeräten rund um den Globus, eine besondere Überraschung. Eine spektakuläre Aktion sorgt für Schlagzeilen.

Doch noch kurz vor der Gala erklärt Organisator und Impresario Eric Morley (Rhys Ifans) freilich den wartenden Journalisten selbstsicher:„Wenn die Maße nicht 90,60, 90 sind, sitzen die Kurven nicht an den richtigen Stellen“. Und so stehen die Bewerberinnen Schlange, um gemessen zu werden. Darunter die schwarze Südafrikanerin Pearl Jansen (Loreece Harrison). In letzter Minute wurde die Fabrikarbeiterin eingeflogen. Scheinheilig wollten die Veranstalter damit der britischen Antiarpartheidbewegung den Wind aus den Segeln nehmen. Und so entsteht die groteske Situation, dass plötzlich zwei „Miss Südafrika“ auftauchen: eine weiße und eine afrikanische, dem allgemeinen Rassismus zum Trotz. Und auch mit Miss Grenada Jennifer Hosten (Gugu Mbatha-Raw) hofft eine weitere „Woman of Colour“ auf den Sieg. Die alleinerziehende Mutter und Geschichtsstudentin Sally Alexander jedoch findet das angeblich familientaugliche Massen-Entertainment wenig amüsant.
Was wird aus ihrer kleinen Tochter Abbie (Maya Kelly), wenn sie später nach ihren Bikini-Maßen bewertet wird? Als sie sieht, wie Abbie den Fernsehbericht über den bevorstehenden Miss World Wettbewerb regelrecht aufsaugt und die Schönheitsköniginnen imitiert, ist sie entsetzt. Nicht umsonst nahm sie vor kurzem, frustiert über die Ignoranz ihrer männlichen Kommilitonen, am ersten Treffen der neu gegründeten Frauenbewegung teil. Dort lernt sie die rebellische Jo Robinson (Jessie Buckley) und ihre Mitstreiterinnen aus dem Women‘s Liberation Movement kennen.

Entschlossen beschließt sie zusammen mit der Gruppe die sexistische Show zu boykottieren und ein Zeichen für alle Frauen zu setzen. In einer scheinbar ausgewogenen Fernsehdiskussion bringt Sally die Situation auf dem Punkt: „Warum sollte sich eine Frau ihren Platz in der Welt verdienen müssen, indem sie besonders aussieht?“ Das gelte für Männer doch auch nicht. Die intensive Präsenz von Hauptdarstellerin Keira Knighly besticht in jeder Szene. Die kapriziöse, selbstkritische Londonerin mit den gemeißelten Wangenknochen, deren impulsive Grazie an Audrey Hepburn erinnert, ist längst zu einer ernsthaften Schauspielerin gereift.

Wieder einmal beweist die 35jährige, dass sie nicht nur ein Faible für starke Frauen in historischen Kostümdramen besitzt. Dieses enge Korsett zu verlassen und mutige Frauen in der Jetztzeit zu verkörpern kommt der aparten Stilikone sichtlich entgegen. Das zeigte die Mutter von zwei kleine Töchtern nicht zuletzt als Whistleblowerin Katharine Gun im spannenden Politthriller „Official Secrets“. „Sexuelle Diskriminierung existiert noch immer, und oft werden Frauen vor allem wegen ihres Aussehens geschätzt“, weiß sie. Und: „Die einzige Industrie der Welt, in der Frauen besser als Männer bezahlt werden, ist das Model Business“.

Regisseurin Philippa Lowthorpe lädt ein auf eine erhellende Zeitreise, die mit der Ernennung der „Miss World“ aus Grenada zumindest in Sachen Rassismus damals etwas Fortschritt zuließ. Doch um Frauen aus der Schublade des schmückenden Beiwerks von Männern, zu befreien, muss noch einiges passieren. Und so ist dem Satz im Abspann: Die „Bemühungen, das Patriachat zu Fall zu bringen, dauern bis heute an“ nichts hinzuzufügen.

Luitgard Koch

 


 

Es ist gerade mal 50 Jahre her, dass die Frauenbewegung richtig in Bewegung kam. Geändert hat sich seitdem einiges, aber längst nicht alles, woran Philippa Lowthorpes Film auch am Ende erinnert. Er erzählt von der „Miss World“-Wahl im Jahr 1970, die nicht nur für die Frauenbewegung ein wichtiger Moment war, sondern auch erstmals das gängige Schönheitsbild erschütterte.

Der alljährliche „Miss World“-Wettbewerb steht im London des Jahres 1970 an. Sally Alexander (Keira Knightley) möchte als Frau nicht limitierter sein, als ein Mann, muss aber erkennen, dass man ihr in einem patriarchalischen System nur wenig Chancen einräumt. Da lernt sie andere Frauen kennen, die sich für die Frauenbewegung einsetzen. Schon bald ist ein offenkundiges Symbol der systeminhärenten Herabsetzung der Frau gefunden – der Schönheitswettbewerb, der von Komiker Bob Hope moderiert und von 100 Millionen Menschen in der Welt gesehen wird. Dort wollen Sally und ihre Freundinnen ein Zeichen setzen.

Der Film funktioniert auch als Geschichtsstunde, ohne jedoch belehrend zu wirken. Vielmehr ist er engagiert und versessen darauf, zu zeigen, wie es war. Zu zeigen, wie das Mann-Frau-Gefälle zu Beginn der 1970er Jahre aussah, als Sally Potters Mutter noch das Einverständnis ihres Mannes benötigte, um ein eigenes Konto bei der Bank eröffnen zu können.

Einer simplen Schwarzweißzeichnung verweigert sich „Die Misswahl“, weil das Rollenverhältnis bei Sallys Eltern nicht ganz so ist, wie man das erwartet. Der Vater kocht, die Mutter ist dennoch die Hausfrau – sie entsprechen beide dem Klischee und dann auch wieder nicht. Das sind nur kurze Szenen, die Einblick in das Familienleben geben, aber wichtige, weil sie die Komplexität desselben sehr schön zur Geltung bringen. Einen anderen Kontrast gibt es mit Sally als Frau, die versucht, ihren Weg zu gehen, ohne anzuecken, sich dann aber eines Besseren besinnt, und Bob Hope, der als Komiker geliebt wurde, aber auch seine dunklen Seiten hatte.

Im Grunde wäre die Konzentration auf Hope in dem Film gar nicht so wichtig gewesen, aber sein Familienleben zu zeigen, unterstreicht auch, woher er kommt. Er sieht sich nicht als auf der falschen Seite stehend, frauenverachtende Witze baut er in seiner Show aber dennoch ein. Greg Kinnear, der Hope trotz der falschen Nase nicht wirklich ähnlichsieht, ist gut in der Rolle. Er verkörpert – ebenso wie Rhys Ifans als Veranstalter – das Patriarchat, das gar nicht verstehen kann, was am gegenwärtigen System so schlecht sein soll.

Der Film hat authentisches Flair. Er fühlt sich einfach echt an, weil die Kleidung, die Frisuren und das Dekors so perfekt auf das Jahr 1970 abgestimmt sind. Zugleich ist er clever gestrickt und intelligent erzählt, weil er keinen Aspekt dieser Show außer Acht lässt. Man hätte sich auf die Geschichte von Sally und ihren Mitstreitern konzentrieren können, aber ebenso wichtig ist, wie der Triumph der Gewinnerin dieses Wettbewerbs ein Signal sandte – dass über Rassenunterschiede hinaus jeder gewinnen kann. Dies war eine frühe Form der Diversität, die auch half, Dinge zu verändern. Weil Sichtbarkeit ein wichtiger Anstoß für Veränderung ist.

„Die Misswahl“ ist packendes, lebendiges, gefühlvolles, echtes Erzählkino, das von einem Moment der jüngeren Historie berichtet, der etwas anstieß. Beendet ist der Prozess aber noch lange nicht.

Peter Osteried