Die Mittagsfrau

Die Verfilmung des Bestsellers von Julia Franck ist eindrucksvoll im Porträt einer Frau, die die große Liebe verliert und darüber droht, auch sich selbst zu verlieren. Mala Emde spielt Helene absolut brillant. Die über mehrere Jahrzehnte erzählte Geschichte ist dabei keine leichte Kost und wartet mit Vielem auf, das zwischen den Zeilen passiert. Der Zuschauer ist immer gefordert, sich auf die Geschichte und ihre Figuren einzulassen.

Website: https://www.wildbunch-germany.de/movie/die-mittagsfrau

Die Mittagsfrau
Deutschland 2023
Regie: Barbara Albert
Buch: Barbara Albert, Meike Hauck
Darsteller: Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Prenn
Länge: 136 Minuten
Verleih: Wild Bunch Germany
Kinostart: 28. September 2023

FILMKRITIK:

Helene und ihre Schwester Martha kommen in den wilden 20ern nach Berlin. Während Martha sich im Partyleben verliert, folgt Helene ihrem Traum. Sie will studieren und Ärztin werden. Dann kommt die Liebe dazwischen, und dann das Schicksal, denn das Land steht vor dem Umbruch, und Helene, deren Mutter nicht nur als Geisteskranke eingesperrt, sondern auch noch Jüdin ist, muss sich selbst verleugnen, um zu überleben. Dabei gerät sie an einen Mann, der ein klassisches Verständnis der Rollenverteilung hat, womit Helene aber gar nicht zurechtkommt.

Der Film deckt einen Zeitraum von gut einem Vierteljahrhundert ab. Er beginnt in den 50er Jahren, als Helene auf einen Hof kommt und ihrem Gastgeber die Geschichte von der Mittagsfrau erzählt. Dann kehrt die Geschichte an den Anfang zurück, zeigt Helene und Martha als junge Mädchen und dann schließlich im Berlin der 20er Jahre, als die Freiheit grenzenlos ist, aber schon die ersten Schatten aufziehen. Die Schatten einer Zeit, in der niemand mehr frei ist.

Die zeitlichen Sprünge sind nicht immer leicht einzuordnen. Man ist gefordert, selbst die Lücken zu füllen. Das ist ein durchaus spannender Ansatz, weil er das Publikum stärker als üblich involviert. Zugleich ist der Film in der Figurenzeichnung faszinierend. Denn im Fokus stehen echte Menschen. Das Medium Film neigt dazu, zu viel zu erklären. Jede Motivation muss ausgeschmückt, jede Figur vollends charakterisiert sein. Aber so sind Menschen nicht. Menschen verhalten sich sonderbar. Nur zu häufig versteht man nicht, wieso jemand handelt, wie er es tut. So geht es einem bei „Die Mittagsfrau“ auch.

Oft fragt man sich, wieso Helene nun tut, was sie tut, und manchmal ist man auch perplex. Mehr noch: Die Figur ist nicht greifbar. Weil eben auch Teile der Erzählung fehlen. Das gilt vor allem für den Grund, wieso sie auf den Hof kommt. Mehr noch für die Frage, was sie Jahre zuvor veranlasst hat, am Bahnhof so zu handeln, wie sie es nun mal getan hat. Was dazwischen passierte, kann sich nur im Kopf des Zuschauers abspielen – und das Ende auch, denn zum Schluss kehrt der Film zur Geschichte der Mittagsfrau zurück und lässt die Frage offen, ob nun alles gut wird oder es nicht längst zu spät ist, zu versuchen, an ein früheres Leben anzuschließen.

Peter Osteried