Die Nachbarn von oben

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Aus der Schweiz kommt der Überraschungserfolg „Die Nachbarn von oben“ nach Deutschland. Ein pointierter, cleverer Film mit überraschenden Wendungen, der eigentlich ganz unschuldig beginnt, als Anna die Nachbarn von oben einlädt, die sie nachts beim Sex hören können. Etwas, das ihr Mann Thomas ansprechen will. Aber die Nachbarn Salvi und Lisa haben ein Angebot für das ältere Paar.

Webseite: https://www.wildbunch-germany.de/movie/die-nachbarn-von-oben

Die Nachbarn von oben
Schweiz 2023
Regie: Sabine Boss
Buch: Alexander Seibt
Darsteller: Ursina Lardi, Sarah Spale, Maximilian Simonischek

Länge: 88 Minuten
Verleih: Wild Bunch Germany
Kinostart: 1. Juni 2023

FILMKRITIK:

Anna hat die Nachbarn Salvi und Lisa eingeladen. Ihrem Mann Thomas passt das gar nicht. Am Ehesten noch möchte er den Abend nutzen, um die Zwei darauf anzusprechen, dass sie beim Sex sehr laut sind. Anna will verhindern, dass das Gespräch darauf kommt, aber als es doch passiert, sind Salvi und Lisa gar nicht peinlich berührt. Sie wissen, dass es bei ihnen lauter werden kann – wenn sie nicht nur zu zweit sind. Nun machen sie Anna und Thomas ein Angebot, das den Abend anders ausklingen lässt, als jeder von ihnen von dem Moment an, da Salvi und Lisa vor der Tür standen, gedacht hätte.

Es braucht nicht mehr als ein exzellentes Drehbuch, vier gut aufgelegte Schauspieler und eine Geschichte, die es versteht, den Humor der Situation auszuspielen, der es aber auch mühelos gelingt, in ernsthafte erzählerische Gewässer vorzustoßen. Denn „Die Nachbarn von oben“ ist ein Film, in dem es vor allem ums Menschliche geht. Anna und Thomas streiten fast nur noch. Sie fühlt sein Desinteresse, er möchte am liebsten weg sein. Salvi und Lisa sind die Katalysatoren, die es braucht, damit das, was über Jahre unausgesprochen blieb, endlich auf den Tisch kommt.

Der Film driftet dabei ins Territorium einer Paartherapie ab, immer aufgeladen durch den Sex, der im Raum steht, durch die Versuchung, aus den eigenen Grenzen auszubrechen und etwas zu erleben, das den Trott des Alltags vergessen macht. „Die Nachbarn von oben“ hätte auch funktioniert, wenn Anna und Thomas direkt beim Therapeuten gesessen wären, in der Sicherheit ihrer eigenen Wohnung, die zumindest einem von ihnen immer enger und drückender erscheint, kommen nun die Wahrheiten ans Licht, die zu lange verborgen waren. Lisa ist Psychotherapeutin, aber auch so etwas wie der Advocatus Diaboli. Sie warnt nicht nur vor dem Moment, da Dinge gesagt werden, die nicht zurückgenommen werden können, sondern wirkt auf beide auch ein.

Bisweilen hat man gar das Gefühl, sie würde Anna und Thomas manipulieren. Das ist eine andere, vielleicht perfide Lesart dieser intelligenten Komödie, sie ist aber auch nur möglich, weil mit Anna und Thomas ein Paar im Mittelpunkt steht, deren Beziehung längst nicht mehr stabil ist. Stabilität, so Lisa, ist aber nötig, wenn sich ein Paar auf Partnertausch oder Gruppensex einlässt. Sie hat erkannt, dass Anna und Thomas kein solch stabiles Paar sind, und dennoch steht das Angebot im Raum.

„Die Nachbarn von oben“ ist ein smarter Film, der in knapp 90 Minuten das Selbstbildnis der beiden Protagonisten, aber auch die Fassade, die sie gar sich selbst gegenüber aufrechterhalten, bröckeln lässt. Er ist die Dekonstruktion einer Liebe, die zuerst prickelnd und aufregend, dann schal wurde und schließlich kaum noch existiert – und das mit herausragendem Gespür für den Humor dieser traurigen Situation und gespickt mit pointierten Dialogen, von denen Roeland Wiesnekker als Thomas die besten abbekommen hat.

Peter Osteried