Die Nacht der Nächte

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In sehr eindringlichen Portraits erzählen die Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli von vier Paaren in Deutschland, Japan, Indien und den USA, die jeweils seit mehr als 50 Jahren gemeinsam durchs Leben gehen. So unterschiedlich die sozialen Kontexte der Paare auch sind, so sehr verbindet sie ihre lebenslange Bereitschaft, zueinander zu stehen - durch Höhen und Tiefen. Nach ihrem großen „Almanya“-Erfolg gelingt den beiden Regisseurinnen nun eine Dokumentation über das Leben und die Liebe von großer Aufrichtigkeit, in der sich beschwingte Leichtigkeit und bisweilen anrührende Traurigkeit die Waage halten. Der Film urteilt nicht über damals und heute. Aber er verneigt sich in Hochachtung vor Menschen, die „in guten wie in schlechten Zeiten“ füreinander sorgen. Es ist schwer, diesen sehr sehenswerten Film ohne ein Lächeln zu verlassen: Ein Lächeln der Hochachtung und der Freude darüber, wie Menschen allen Widernissen des Lebens zum Trotz zueinander stehen können.

Webseite: www.nachtdernaechte-derfilm.com

Dokumentation
Deutschland 2017
Regie & Buch: Yasemin und Nesrin Samdereli
Länge: 97 Minuten
Verleih: Concorde
Kinostart: 5. April 2018

FILMKRITIK:

50 Jahre oder länger verheiratet zu sein oder in einer lebenslangen Beziehung zueinander zu stehen – das wirkt heutzutage nahezu unglaublich. Im Zeitalter der „Lebensabschnittspartnerschaften“ und boomender Dating-Plattformen scheint das Versprechen „in guten wie in schlechten Zeiten“ nicht mehr viel wert. In der Generation heutiger Großeltern war das noch ganz anders: Wer in den 1950er oder frühen 1960er Jahren geheiratet hat, für den war eine Scheidung ein fast undenkbarer letzter Ausweg.
 
Wie aber gelingt es, ein Leben lang miteinander auszukommen? Höhen und Tiefen gemeinsam zu durchschreiten, Seite an Seite? Diese Fragen haben die Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli („Almanya – Willkommen in Deutschland“) umgetrieben. Auf der Suche nach Antworten haben sie vier Paare in Deutschland, Japan, Indien und den USA gefunden, die seit über fünf Jahrzehnten zusammenhalten. Vier Paare, die aus sehr unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten stammen, die aber ihre lebenslange Sorge füreinander eint.
 
Den beiden Samdereli-Schwestern gelingen in ihrer Dokumentation behutsame Portraits von Menschen, die einander nicht losgelassen haben. Bewundernswert offen, bisweilen unvermittelt komisch, manchmal auch mit anrührender Traurigkeit berichten die Protagonisten, wie sie es geschafft haben, ihre Leben gemeinsam zu meistern. Ein Patentrezept? Gibt es natürlich nicht. Doch je länger man diesen alten Paaren zusieht, desto deutlicher wird: Humor ist wichtig. Respekt ist unerlässlich. Und eine Prise Gelassenheit hilft.
 
Die Zuschauer begegnen Hildegard und Heinz Rotthäuser aus dem Ruhrgebiet, deren Zuneigung sich hinter schroffer Herzlichkeit verbirgt und die sehr unverblümt über die moralische Enge im Deutschland der Nachkriegszeit berichten. In Japan wurden Mitte der 1950er Jahre Shigeko und Isao Sugihara von ihren Eltern miteinander verheiratet und lernten in einem durch und durch von landwirtschaftlicher Arbeit geprägten Leben erst ganz allmählich, überhaupt miteinander zu sprechen und sich als Paar zu begegnen. Kamala und Hampana Nagarayya aus Indien wagten in den frühen 1960er Jahren den unerhörten Schritt, über Kastengrenzen hinweg und somit gegen soziale Widerstände zu heiraten. Norman MacArthur und Bill Novak aus den USA schließlich fanden Anfang der 1960er als schwules Paar zueinander und mussten bis 2015 warten, bis im US-Bundesstaat Pennsylvania Ehen zwischen homosexuellen Partnern möglich wurden. Fünfzehn Jahre zuvor hatte Bill den zwei Jahre jüngeren Norman adoptiert – um rechtlich für ihn sorgen zu können (was die Gesetze erlaubten).
 
Die Geschichten dieser vier Paare erzählen die beiden Regisseurinnen mit großem Einfühlvermögen und in starken, oftmals sehr bewegenden Szenen. Die Kraft dieses Films liegt in seiner großen Ehrlichkeit: Da wird nichts beschönigt oder verschwiegen, die Protagonisten sprechen sehr offen über schwere Zeiten, über Fehler und Versäumnisse. Aber eben auch über Glücksmomente, über Zusammenhalt und die Zuversicht, den Richtigen oder die Richtige gefunden zu haben. Wie so oft im Leben und in der Liebe liegen Lachen und Weinen sehr nah beieinander, bedingen sich Leichtigkeit und Schwere. Das Verdienst der beiden Filmemacherinnen ist, eben diese Balance in den Geschichten zu finden und sie dennoch in einem sanft-beschwingten Rhythmus zu verbinden.
 
Streiten mag man über die vor allem zu Beginn eingestreuten Knetanimationen von Izabela Plucinska, in denen diese einen Blick von außen auf die Paare wirft. Diese Sequenzen schaden dem Film nicht, aber sie wären auch nicht unbedingt nötig gewesen. Für den Gesamteindruck aber bleiben die Animationen unerheblich. Zu einprägsam sind die Portraits der vier Paare, die ihren Lebensweg gemeinsam gegangen sind. Es ist schwer, diesen Film ohne eine Lächeln zu verlassen: Es ist ein Lächeln der Hochachtung und der Freude darüber, dass zwei Menschen allen Widernissen des Lebens zum Trotz zueinanderstehen können.
 
Klaus Grimberg