Die Rückkehr der Wölfe

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Kaum ein Tier in Europa ist so umstritten wie der Wolf, der in vielen Ländern fast ausgestorben war, nun aber langsam zurückkommt. In eindrucksvollen Bildern schildert der Schweizer Regisseur Thomas Horat in seiner Dokumentation „Die Rückkehr der Wölfe“, auf welch unterschiedliche Weise mit dem Wolf umgegangen wird, wie er verdammt und verehrt wird.

Website: www.mythenfilm.ch

Dokumentation
Schweiz 2019
Regie: Thomas Horat
Länge: 90 Minuten
Verleih: mythenfilm, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 17. September 2020

FILMKRITIK:

Einst war Europa fast vollständig von Wäldern bedeckt, in denen sich allerlei Wildtiere ausgiebig und ungestört bewegen konnten. Darunter der Wolf, der ähnliche Vorfahren hat wie der Deutschen liebstes Haustier, der Hund. Doch im Gegensatz zum Hund hat der Wolf für den Menschen keinen unmittelbaren Nutzen, im Gegenteil: Der Wolf reißt Nutztiere, dezimiert Schafsherden, bedroht angeblich sogar Menschen und wurde nicht zuletzt durch Märchen wie das Rotkäppchen zum Feindbild stilisiert.
Kein Wunder also, dass das Wachstum der Wolfspopulation in Europa für Aufsehen sorgt. Durch Naturschutz, den Rückgang von Industrie in Mitteleuropa konnten sich die Wölfe wieder ausdehnen und tauchten in Gegenden auf, in denen oft seit vielen Jahren kein Wolf gesichtet wurde. Zwangsläufig kam es dadurch zu Konflikten, Nutztiere wurden gerissen, Bauern forderten einen schonungslosen Abschuss der Wölfe, während Naturschützer begeistert über die Rückkehr des einsamen Jägers waren.

Diese beiden kaum unter einen Hut zu bringenden Ansichten sind Ausgangspunkt für Thomas Horats Dokumentation „Die Rückkehr der Wölfe“, für die der vielfach ausgezeichnete Schweizer Regisseur jahrelang gedreht hat. An vielen Orten seiner Heimat, aber auch in Österreich, Deutschland, Polen, Bulgarien und den USA. Unterschiedliche Personen kommen zu Wort, Schafhirten, Wissenschaftler, aber auch einfache Bürger, die gerade in den Weiten des amerikanischen Norden fernab der Zivilisation leben und sich mit der Anwesenheit des Wolfes mehr oder weniger arrangiert haben.

Dezidierte Wolfsgegner oder gar -hasser kommen nicht zu Wort, ebenso wenig wie naive Tierschützer, die die Probleme, die durch die neu entstehende Nähe zwischen Mensch und Wolf entstehen negieren. Stattdessen differenziert Horat: Ein Schweizer Schafhirt beklagt sich etwa über die unterschiedliche Wahrnehmung der Wölfe: Nähern die Tiere sich zu sehr menschlichen Siedlungen, werden sie auf einmal zu Problemwölfen, bleiben sie dagegen im Wald, fliegen ihnen die Sympathien zu, auch wenn sie dort die Herden von Hirten wie ihm dezimieren. Ein anderer Schafhirt dagegen lässt seine Herde mitten in einem Wolfsrevier weiden, geschützt durch Zäune und hat keine Probleme mit getöteten Schafen.

Alles eine Frage der Perspektive, auch der Erfahrung im Umgang mit den Wölfen, eine Erfahrung, die in den letzten Jahrzehnten, als der Wolf fast vollständig zurückgedrängt war, oft verlorengegangen ist. In Bulgarien dagegen war der Wolf immer da, riss regelmäßig Tiere aus den Herden, wurde aber als Teil des Lebens wahrgenommen. Doch auch hier hat sich durch die Verkleinerung der Herden der Blick auf den Wolf geändert: Wenn von hundert Schafen eins gerissen wird, ist das etwas anderes, als wenn von zehn eins getötet wird.

Viel Sympathie bringt Horat dem Subjekt seines Films entgegen, ohne es jedoch zu verklären. Statt dessen ist sein Film auch durch die überaus eindrucksvollen Bildern von Alpenlandschaften oder den Weiten des amerikanischen Nordens ein Plädoyer für ein Miteinander von Wolf, Mensch und Schaf.

Michael Meyns