Die Sirene

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Seit fast 40 Jahren lebt die im Iran geborene Sepideh Farsi in Frankreich und hat nun einen Film gedreht, der auf das Iran ihrer Kindheit zurückblickt. Die Technik des Animationsfilms ermöglicht dabei ein Verschmelzen von realistischen und fantastischen Bilder, mit denen Farsi einen leicht nostalgisch geprägten Blick auf ein Land und seine Widerstandskraft wirft.

La Sirène
Frankreich/ Deutschland/ Luxemburg/ Belgien 2022
Regie: Sepideh Farsi
Buch: Javad Djavahery
Animationsfilm

Länge: 101 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 30. November 2023

FILMKRITIK:

Nicht in der Gegenwart spielt „Die Sirene“, sondern Anfang der 80er Jahre, zu Beginn des Krieges zwischen Iran und Irak. Schauplatz ist die südiranische Hafenstadt Abadan, wo der 14jährige Omid die Stellung hält: Sein älterer Bruder ist im Krieg, seine Eltern tot oder bei Verwandten im Landesinneren. Eigentlich wollte auch Omid in den Krieg ziehen, doch er muss zu Hause bleiben und passt auf seinen alten Großvater auf.

Allein streift Omid durch die Straßen der zunehmend zerstörten Stadt, fährt mit dem alten Motorrad seines Vaters Essen aus, pflegt seinen Kampfhahn Shir Khan, begegnet unterschiedlichen Menschen wie einer einst berühmten Sängerin oder einem Kapitän, dessen Boot zum Fixpunkt in seinem Leben wird.

Weniger ein Film aus als über den Iran ist Sepideh Farsis „Die Sirene“, mit dem im Frühjahr die Panorama-Sektion der Berlinale eröffnete. Seit 1984 lebt die 1965 geborene Regisseurin im Exil, hat essayistische Dokumentarfilme und Spielfilme realisiert und nun einen Animationsfilm, der stark dem magischen Realismus verhaftet ist.

Immer wieder lässt Farsi Realität und Phantasie verwischen, zeigt in Rückblenden ein Leben vor dem Krieg, was in diesem Fall auch bedeutet: Ein Leben vor der Revolution, vor der Machtübernahme des Ayatollah Khomeini, dessen allgegenwärtige Poster andeuten, wie sehr die islamische Revolution die Welt, in der Omid aufwächst in nur wenigen Jahren verändert hat.

Nicht über seine sehr lose Geschichte sondern über Bilder und Musik funktioniert „Die Sirene“, ein Versuch, das Leben im Krieg zu evozieren, die ständige Bedrohung durch Bombenangriffe, die trotz der Zerstörung, die sie bringen, eine seltsame Schönheit ausstrahlen. Über den Öl-Raffinerien der Hafenstadt fliegen die Raketen, aus den Ruinen steigt Rauch aus, auf den Straßen liegt Schutt. Doch das Leben geht weiter, in einer Vielfalt, die den mit den Gegebenheiten des Irans nur oberflächlich vertrauten Zuschauer aus dem Westen überraschen mag.

Sogar Alkohol ist keine Seltenheit, eine Flasche Arak (ein in der Region beliebter Anisschnaps) muss Omid einmal auftreiben, um den alten Kapitän dazu zu bringen, ihm zu helfen. Bei orthodoxen armenischen Priestern hat er schließlich Erfolg, nicht der einzige Moment, in dem Farsi die Vielfalt des Landes andeutet.

Bisweilen mutet „Die Sirene“ zwar ein wenig kitschig und verklärt an, wie der von leichter Nostalgie geprägte Blick aus dem Exil in die verlorene Heimat, vor allem aber wie die Ode an ein widerständiges Volk, das im Laufe der letzten Jahrzehnte mit inneren und äußeren Antagonisten rang und ringt.

 

Michael Meyns