Die Tochter des Spions

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Eine Geschichte aus dem Kalten Krieg: Ieva Lešinska war Tochter eines Doppelagenten, der 1978 zu den Amerikanern überläuft. Was der Verlust ihrer Identität, die Geheimnisse, die ihr Familienleben prägten, mit ihr machten, ergründen Jaak Kilmi und Gints Grube in ihrer Dokumentation „Die Tochter des Spions“, ein spannender Einblick in eine gar nicht so weit zurückliegende historische Epoche.

Website: www.im-film.de/index.php?id=135

OT: The Daughter of a Spy
Dokumentation
Lettland/ Deutschland/ Estland/ Tschechien 2019
Regie: Jaak Kilmi & Gints Grube
Buch: Jaak Kilmi
Länge: 90 Minuten
Verleih: imFilm
Kinostart: 2. Juli 2020

FILMKRITIK:

In ihrer Heimat Lettland ist Ieva Lešinska als Journalistin und Übersetzerin eine bekannte Persönlichkeit, hat englische Autorin ins lettische, lettische Schriftsteller ins englische übersetzt und auf diese Weise zur Völkerverständigung beigetragen. In den 60er und 70er Jahren füllte ihr Vater in gewisser Weise eine ähnliche Rolle aus, nur auf viel gefährlicherer Ebene: 1931 in Riga, der Hauptstadt des damals für kurze Zeit unabhängigen Lettlands geboren, begannt Imants Lešinska ab Ende der 50er Jahre für den KGB zu arbeiten, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon den Glauben an den Kommunismus verloren hat.

Vermutlich hatte er schon damals geplant, möglichst bald zum Gegner, zu den USA, überzulaufen. Bei den Olympischen Spielen 1960 startete er einen Versuch, doch statt dessen überzeugte ihn die CIA davon, als Doppelagent zu arbeiten, eine Rolle, die Lešinska bis 1978 einnahm. Dann entschied sich der inzwischen bei der UN arbeitende Doppel-Agent, überzulaufen. Was bedeutete, dass ein neues Leben unter falschem Namen begann und zwar nicht nur für ihn, sondern auch für seine damals 19jährige Tochter Ieva. Die besuchte damals den längst von der Mutter geschiedenen Vater und hatte nur wenige Minuten Zeit, sich zu entscheiden, ob sie beim Vater bleiben sollte oder zurück zur Mutter, in die Sowjetunion gehen sollte.

Ieva entschied sich für ein Leben in den USA, lebte fortan als Evelyn Dorn. Erst Jahre nach Ende des Kalten Kriegs nahm Ieva ihre wahre Identität wieder an, auch weil ihr Vater 1987 unter mysteriösen Umständen verstorben war, es also nicht mehr nötig war, seine Identität zu schützen.
Eine faszinierende Geschichte, auch eine tragische, die auf unterschiedlichen Ebenen vom Kalten Krieg erzählt, dem Kampf zweier Systeme, die sich mit allen Mitteln bekämpften. Zu einem direkten Krieg zwischen den USA und der UdSSR ist es zum Glück nie gekommen, vielfältige Opfer hat es dennoch gegeben. Nicht immer muss das den Tod bedeuten, sondern – wie auch hier – der Verlust von Vertrauen, die Zerstörung von Familien.
Antworten auf ungelöste Fragen zu finden ist gerade in der Welt der Geheimdienste schwierig wenn nicht unmöglich, was es umso schwieriger macht, mit der Vergangenheit abzuschließen.

Bei ihren Versuchen, solche Antworten zu finden, wird Ieva Lešinska von den lettischen Filmemachern Jaak Kilmi und Gints Grube begleitet. Dieses vor allem aus Interviews mit Zeitzeugen bestehende Material wird ergänzt durch manch holprige Nachstellung, vor allem aber vielfältiges Archivmaterial. Eine Suche nach der eigenen Identität beschreibt „Die Tochter des Spions“, vor allem aber das langsame akzeptieren der Brüche der eigenen Familiengeschichte.

Michael Meyns