Die Unbeugsamen

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„Politik ist eine viel zu ernste Sache, um sie alleine den Männern zu überlassen.“ (Käte Strobel, Bundesministerin 1966-1972)

Die spannende und bewegende Chronik westdeutscher Politik von 1950 bis zur Wiedervereinigung ist ein Dokumentarfilm, wie er hellsichtiger und aktueller nicht sein könnte. Obwohl die Geschichte der Frauen in der Bonner Republik ein historisches Zeitdokument ist, wirft dieser unbedingt sehenswerte Rückblick in Zeiten von MeToo um Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt ein Schlaglicht auf das immer wieder zurückgedrängte Thema Emanzipation und Feminismus. Die stimmigen Interviews und historischen Aufnahmen zeigen, wie sehr sich die Politikerinnen jedweder Coleur die Teilhabe am demokratischen Prozess im Bonner Parlament gegen ignorante Männer erkämpfen mussten. Grosses politisches Kino, das selbst den nächsten Backlash, der das Wort Feministin wieder zum Schimpfwort deklariert, übersteht. Denn Bilder und Fakten, die Regisseur Torsten Körner aufbereitete, um der männerzentrierten Geschichtsschreibung etwas entgegenzusetzen, sprechen für sich.

Website: www.dieunbeugsamen-film.de

Deutschland 2020
Regie & Drehbuch: Torsten Körner
Darsteller: Marie-Elisabeth Klee (CDU), Christa Nickels (Die Grünen), Herta Däubler Gmelin (SPD), Renate Schmidt (SPD), Renate Hellwig (CDU), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD), Ursula Männle (CSU), Rita Süßmuth (CDU), Elisabeth Haines (SPD), Renate Färber-Husemann, Journalistin.
Länge: 99 Minuten
Verleih: Majestic, Vertrieb: Paramount
Kinostart: 26.8.2021

FILMKRITIK:

Bonn 1961. Die Republik schien manchen noch gemütlich. Politiker machten Fehler, sie hatten Geliebte, doch darüber wurde gemunkelt, nicht berichtet. Für die Frauen war Bonn weniger gemütlich. Denn die Bonner Bundesrepublik ist eine absolute Männerbastion. Selbst in seinem vierten Kabinett, zwölf Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, will Kanzler Konrad Adenauer keine Frau sehen. Und das obwohl die Berufung überfällig ist. Aber zustande kommt sie nur unter Druck. CDU-Frauen belagern mit einer Sitzblockade den Kabinettsaal.

Sie drohen solange zu bleiben bis ihre Forderung erfüllt wird. Da alle vorgesehenen Ressorts bereits vergeben waren, schaffen die Koalitionäre schnell ein neues: Die Frankfurter Juristin Elisabeth Schwarzhaupt wird die erste Chefin eines Gesundheitsministeriums. Unmittelbar nach ihrer Ernennung sagt Schwarzhaupt in einem Fernsehinterview statt mit „Frau Minister“ finde sie es logischer mit „Frau Ministerin“ angesprochen zu werden. „In diesem Kreis sind auch Sie ein Herr!“ wies Adenauer freilich, die erste deutsche Ministerin zurecht.

Sie hatte höflich dagegen protestiert, dass er die Kabinettssitzung immer noch mit: „Morgen, meine Herren!“ eröffnete. Mit ihr beginnt die erhellende filmische Zeitreise durch die Bonner Republik. In der Familienpolitik fuhr sie als Bundestagsabgeordnete  einen  beachtlich  progressiven  Kurs innerhalb  der  Nachkriegs-CDU.  So setzte sie sich  ganz  besonders  für  die  Rechte nichtehelicher Kinder ein. Verflochten mit zum Teil bisher unbekannten Archiv-Ausschnitten ist dem Dokumentarfilmer und Journalisten Torsten Körner ein ungemein wichtiger Beitrag gelungen, um unser aller Langzeitgedächtnis aufzufrischen.

Parteiübergreifend kommen Politikerinnen, wahre Pionierinnen, von damals zu Wort. Ihre Erinnerungen sind nicht nur komisch sondern bitter und bisweilen erschreckend aktuell. Wenn Helga Schuchardt von der FDP beschreibt wie der ehemalige Postminister und fränkische CSU-Abgeordnete Richard Stücklen ihr im Bundestag auf ihrem Weg vom Rednerpult mit dem Daumen über ihren Rücken fährt, um zu ertasten, ob sie einen BH trägt, verschlägt es einem die Sprache. Er hatte mit seinen Christlichen Parteigenossen eine Wette darüber laufen. Selbst als das an die Presse durchsickert, schadet es ihm nicht.

Das Bonner Bundesdorf wirkt wie ein Treibhaus für Chauvinismus und sexuelle Übergriffe. Den ganz normalen Sexismus im Parlament zeigen die Archivaufnahmen von der ersten Rede der Grünen Abgeordneten Waldtraud Schoppe. Mit ihr bricht sie ein Tabu und zahlt dafür einen hohen Preis. Als sie die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe fordert und das Ende des „alltäglichen Sexismus hier im Parlament“, gleicht der Bundestag einem Tollhaus. Der grölende, feixende Männermob rastet aus. Johlen, Schenkelklopfen und Zwischenrufe wie „Hexe, so was hätte man früher verbrannt“, „Du willst es doch nur besorgt bekommen“ ertönen. Erst 1997 wird Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand

„Die hat da nicht groß die Stimme erhoben, “, erinnert sich ihre grüne Fraktionskollegin Christa Nickels im Interview, „sondern eher leise gesprochen“. Und Herta Däubler-Gmelin von der SPD verrät: „Ich hab sie bewundert“. Parteiübergreifend fühlten sich weibliche Abgeordnete von der couragierten Politikerin bestens vertreten. Niemals zuvor war eine Fraktion mit derart hohem Frauenanteil in den Bundestag eingezogen wie die Grünen, zehn Frauen und 18 Männer, darunter die Weltbürgerin und Ikone der Friedensbewegung Petra Kelly. Mit dem „Feminat“ - 1984 besetzen die Grünen ihren Fraktionsvorstand ausschließlich mit Frauen, einem Meilenstein - lösen sie erneut Aufruhr aus.

„Ich habe ihnen schriftlich gratuliert“, gibt CSU-Politikerin Ursula Männle zu. Für ihre überparteiliche Frauensolidarität handelt sich die gebürtige Pfälzerin von ihren CSU-Männern harsche Kritik ein. Ihre Partei tat sich generell schwer mit der aufrechten Streiterin für mehr Frauenrechte. Frauen wurden als „notwendiges Übel“ toleriert. Noch 1998 wurde sie vom damaligen bayerischen Ministerpräsident Stoiber entmachtet, und die CSU gab ihr bei der Landtagswahl keinen eigenen Wahlkreis. Zuletzt war die Sozialwissenschaftlerin Vorsitzende der Hanns-Seidl-Stiftung, eher ein Abstellgleis als Karrierestufe.

Ähnlich tumultartige Szenen wie bei der Rede von Waltraud Schoppe zeigen die Archivaufnahmen, als im Bundestag im März 1997 über die umstrittene Wanderausstellung „Die Verbrechen der deutschen Wehrmacht 1941–1944“ debattiert wird. Die Schau brach mit einem Tabu: Der Legende von der „sauberen Wehrmacht“, der Reinheit des soldatischen Handelns, das auch in Familiengedächtnissen beschworen wurde. Für den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Alfred Dregger, der selbst zur ‚Stillen Hilfe‘, eine der ältesten rechtsextremen Vereinigungen, gute Kontakte hatte, war sie ein „Angriff auf  Deutschland“. Dementsprechend verhält sich das ehemalige Mitglied der NSDAP.

Christa Nickels hingegen hält eine emotional beeindruckende Rede. Sie offenbart, wie sehr sie unter den verdrängten, beschönigenden Kriegserinnerungen ihres Vaters litt und was es für sie bedeutet, dass er ziemlich sicher Mitglied der Waffen-SS war. Angesichts zunehmender rechter Tendenzen ist auch hier die Doku ein wertvolles Zeitdokument. Denn die Verarbeitung dieses Kapitels, das in den Jahren Adenauers und Erhards mit dem Hurra „Wir sind wieder wer“ endlich begraben werden sollte, ist weder auf politischer Ebene noch in den Familien abgeschlossen.

Regisseur Torsten Körner arbeitet ohne eine belehrende und erläuternde Stimme aus dem Off. Dramaturgisch eingängig aufeinander aufgebaut funktioniert seine exzellente Montage des Bild- und Archivmaterials trotzdem. Die Einteilung in verschiedene Kapitel mit optischer Zäsur lässt Raum, das Gesehene nachwirken zu lassen. Das Kapitel „Petra und Hannelore“ um die tragischen Schicksale von Hannelore Kohl und Petra Kelly sticht heraus. Zwei Dramen, bei denen das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Zum Freitod der ehemaligen Gattin von Kohl, gerne als Folge einer Lichtallergie dargestellt, nennt ihr Biograph ganz andere Motive. Nicht nur, dass sie zusammen mit Kohl in die Abgründe seiner Schwarzgeldaffäre rutschte, wer einen Blick in Heinrich Bölls letzten Roman „Frauen vor Flusslandschaften“ wirft, in dem die Frauen der Politiker aus der Bonner Regierungszeit im Mittelpunkt stehen, findet darin sicher auch einige Antworten. Denn keiner blieb mit seinen Werken so dicht an der bundesdeutschen Realität wie der Literaturnobelpreisträger aus Köln.

Am Ende des Films spannt Ursula Männle noch einmal den Bogen von der Zeit, bevor Frauen überhaupt wählen durften, bis heute. Eindeutig stellt sie fest: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie hofft auf die nächsten 25 Jahre. Eine der letzten Einstellungen zeigt Mirga Gražinytė-Tyla, die litauische Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra. Ein kleiner Durchbruch in die Männer-Monokultur an den Dirigentenpulten. Gleich zu Beginn, bei der Vorstellung der reinen Bonner Männerrunde, schnitt Regisseur Torsten Körner den jungen Herbert von Karajan vor den Berliner Philharmonikern mit Dvoraks Symphonie Nr. 9 dazwischen. Und so stirbt die Hoffnung wieder einmal zuletzt.

Luitgard Koch