Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

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„Ich werde laufen, und du wirst leben“ – das ist der Deal, den Harold Fry mit der im Hospiz befindlichen Queenie eingeht. Oder den er sich zumindest wünscht, als er zu Fuß losgeht, um etwa 1.000 Kilometer hinter sich zu bringen. Der Bestseller von Rachel Joyce ist mittlerweile gut ein Jahrzehnt alt, der Film holt ins Bewusstsein zurück, wie gut die Geschichte ist. Auch wenn sie mittlerweile an einen anderen Film erinnert, der erst kürzlich im Kino lief.

Webseite: https://constantin.film/kino/die-unwahrscheinliche-pilgerreise-des-harold-fry/

The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry
Großbritannien 2023
Regie: Hettie Macdonald
Buch: Rachel Joyce
Darsteller: Jim Broadbent, Penelope Wilton, Earl Cave

Länge: 108 Minuten
Verleih: Constantin Film
Kinostart: 26. Oktober 2023

FILMKRITIK:

Harold Fry erhält einen Brief. Darin erklärt ihm Queenie, eine Freundin und Kollegin, die er seit mehr als 20 Jahren nicht gesehen hat, dass sie Krebs hat und in einem Hospiz ist. Sie verabschiedet sich. Er schreibt einen Brief und geht zum Briefkasten, um ihn einzuwerfen. Doch dann hat er das Gefühl, dass das nicht reicht. Nicht reichen kann. Er muss mehr tun. So beschließt Harold Fry, fast 1.000 Kilometer zu Fuß zu gehen – zu Queenie, der er in einer Nachricht mitteilt, dass er gehen und sie leben wird, bis er ankommt und sie rettet.

Die Geschichte erinnert etwas an „Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“ aus dem Jahr 2021. Auch eine britische Geschichte, auch eine über einen alten Mann, der eine große Reise antritt. Dort war es Timothy Spalls, hier ist es Jim Broadbent. Wo Spalls‘ Figur mit lokalen Bussen nach und nach seinem Ziel näherkam, wandert Broadbents Figur. Beide werden zu einem viralen Phänomen. Die Ähnlichkeiten sind schon recht stark, eher ist aber wohl der Spalls-Film von Rachel Joyce‘ Roman inspiriert. Aber wie dem auch sei, beide Filme funktionieren sehr gut.

Weil sie eine sehr menschliche Geschichte erzählen, aber die Prämisse unkonventionell ist. Für Spalls‘ Figur gibt es mehr Grund, die Reise anzutreten, als für die von Broadbent. Harold Fry scheint das fast aus einer Laune heraus zu machen. Aus dem Gefühl, dass er in seinem Leben nie etwas erreicht oder getan hat, das Wert besitzt. Aber dies jetzt, diese Pilgerreise, hat einen Wert. Für Queenie, für die Menschen, die davon erfahren, vor allem aber für ihn. Weil er erkennt, wie wenig man wirklich braucht. Je länger er geht, desto mehr verzichtet er auf alles. Er hat kein Geld, kein Handy, praktisch nichts, und schläft unter freiem Himmel. Aber er fühlt sich so lebendig wie nie zuvor.

Damit erfüllt er auch ein Sehnsuchtsgefühl des Publikums. So, wie die Menschen von Harold Frys Wanderung begeistert sind, ist es auch der Zuschauer. Weil es ein Ausbrechen aus dem gesellschaftlichen Korsett ist. Auch eine Rückbesinnung zu dem, was wichtig ist. Letztlich wohl auch deswegen, weil Harold Fry eine Form von Freiheit erlangt, die die meisten gar nicht kennen.

Auf seiner Pilgerreise begegnet er den unterschiedlichsten Menschen, deren Leben er auf die eine oder andere Weise berührt, und die damit auch das seine berühren. „Die Pilgerreise des Harold Fry“ ist ein schöner, ein melancholischer Film über den Wert, aber auch die Pflicht der Freundschaft, vor allem aber zelebriert er das Gute im Menschen. Etwas, das man sich viel zu selten vor Augen führt.

 

Peter Osteried