Die Wärterin

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Maximale Spannung mit minimalen Mitteln: Unter diesem Motto stand Gustav Möllers Regiedebüt „The Guilty“ (2018). Begrenzt auf den Raum einer Notrufzentrale, gerät ein strafversetzter Polizist darin gewaltig ins Schwitzen. Und mit ihm das Publikum, dessen Vorstellungskraft der Thriller geschickt anheizt. Eng und geschlossen ist die Welt auch in seinem zweiten Spielfilm „Die Wärterin“, der größtenteils in den Mauern einer Haftanstalt spielt. Das Rachedrama erreicht zwar nicht die Qualität des Erstlings, erzeugt aber eine brodelnd-bedrückende Stimmung der Unausweichlichkeit und wartet mit einer starken Hauptdarstellerin auf.

Webseite: https://www.24-bilder.de/filmdetail.php?id=1000

Vogter
Dänemark/Schweden 2024
Regie: Gustav Möller
Drehbuch: Gustav Möller, Emil Nygaard Albertsen
Cast: Sidse Babett Knudsen, Sebastian Bull, Dar Salim, Marina Bouras, Olaf Johannessen, Jacob Lohmann, Siir Tilif u. a.

Länge: 98 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 20. Februar 2025

FILMKRITIK:

Eva (Sidse Babett Knudsen) hilft, wo sie nur kann. Mit Rat und Tat steht die Gefängnisaufseherin den Insassen in ihrem Abschnitt zur Seite. Greift ihnen etwa beim Lernen unter die Arme und hat immer ein freundliches Wort parat. Als jedoch der Mörder Mikkel (Sebastian Bull) in den Hochsicherheitstrakt ihrer Anstalt überstellt wird, verändert sich Eva spürbar. Härte steht ihr plötzlich ins Gesicht geschrieben. Und ihre Körperhaltung spannt sich merklich an. Aus der zugewandten, aufmerksamen Wärterin wird eine verkniffene Beobachterin, in der es brodelt. Das legt schon ein unerwarteter Ausbruch bei der Yoga-Stunde mit ihren Gefangenen nahe.

Dass sie den Neuankömmling kennt, dass die beiden irgendeine gemeinsame Geschichte verbindet, liegt auf der Hand. Warum sonst sollte Eva mit fadenscheinigen Begründungen auf einen Wechsel in den Bereich für die besonders schweren Gewaltverbrecher drängen? Sobald sie Mikkel nahe ist, beginnt sie mit kleinen Schikanen, die eine große Eskalation zur Folge haben könnten.

Den Grund für das Handeln der Protagonistin offenbart das von Gustav Möller und Emil Nygaard Albertsen verfasste Drehbuch recht früh. Was man sich hingegen lange fragt: Wie weit will Eva gehen? Möchte sie Mikkel bloß ein wenig einschüchtern? Ihre Position ausnutzen? Oder soll es ihm wirklich an den Kragen gehen? Sinnt sie auf Rache der drastischen Art? Aus dieser Ungewissheit zieht der Film einen Teil seiner Spannung, wobei Sidse Babett Knudsen entscheidend dazu beiträgt. Auch wenn sie die Emotionen ihrer Figur immer mal wieder hochkochen lässt, gibt es viele Momente, in denen Evas Züge etwas Undurchschaubares an sich haben. Was genau im Kopf der Schließerin vorgeht, erfahren wir nicht. Klar ist nur, dass etwas an ihr nagt, sie innerlich aufzufressen droht.

Eine grimmige, bedrohliche, schicksalhafte Atmosphäre entsteht auch deshalb schon im ersten Drittel, weil der Regisseur den klaustrophobischen Aspekt seines Settings in nahezu jeder Einstellung betont. Ein Gefühl der Beklemmung, des Gefangenseins vermittelt bereits das fast quadratische Bildformat, das angesichts der Handlung und des Schauplatzes natürlich eine naheliegende Wahl ist. Die meiste Zeit spielt „Die Wärterin“ in kargen, funktionalen Innenräumen. Einen Blick nach draußen gewährt uns Möller nur sehr selten. Zudem bleibt das aktuelle Privatleben Evas gänzlich außen vor. Fast wirkt es so, als habe sie nichts anderes als ihre Arbeit. Was in gewisser Weise auch stimmt. Denn mit ihrem Job will sie Versäumnisse der Vergangenheit zumindest ein bisschen aufwiegen.

Angenehm ist es, dass der Film die üblichen Mechanismen des Rachekinos unterläuft und die Machtverhältnisse im Kräftemessen zwischen Aufseherin und Häftling nicht zementiert. Thematisch erscheint die um Schuld, Sühne und Gerechtigkeit kreisende Geschichte allerdings nicht ganz ausgereift. Einige Ideen hängen in der Luft. Insgesamt werden die Überlegungen nicht ganz so pointiert verzahnt wie noch in Möllers Debütarbeit, die ähnliche Gedanken durchdeklinierte. Was ebenfalls auffällt: Mit der Glaubwürdigkeit nimmt es „Die Wärterin“ in der letzten halben Stunde nicht so genau. Auf der Leinwand darf man natürlich von der Realität abweichen. Mit Blick auf einige Ereignisse in der zweiten Hälfte verwundert es aber schon, dass sich Eva weiterhin im Dunstkreis Mikkels bewegen kann. Im wahren Leben wären die beiden höchstwahrscheinlich nicht mehr so ausgiebig in Kontakt gekommen.

 

Christopher Diekhaus