Die Wand der Schatten

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Immer noch ruft der Berg, besonders die höchsten Gipfel der Welt, im Himalaya gelegen. Dort drehte die ehemalige Bergsteigerin Eliza Kubarska schon etliche Filme, dort entstand auch „Die Wand der Schatten“, ein herausragend gefilmtes, mystisches Werk, dass das Schicksal der einheimischen Sherpas mit den Ambitionen westlicher Bergsteiger kontrastiert.

Website: riseandshine-cinema.de

Polen/ Deutschland/ Schweiz 2019
Dokumentation
Regie: Eliza Kubarska
Buch: Eliza Kubarska & Piotr Rosołowski
Länge: 94 Minuten
Verleih: Rise and Shine Cinema
Kinostart neu: 17. Dezember 2020

FILMKRITIK:

Früher war der Sagarmatha, im Westen besser bekannt als Mount Everest, nicht nur der höchste Berg, sondern auch der heilige Berg des Himalaya. Inzwischen ist er durch die wahnwitzige Kommerzialisierung, die einen einst kaum zu erreichenden Ort zu einem Disneyland für Egomanen mit vollem Geldbeutel gemacht hat, entweiht, sind andere Berge in der Mythologie der Einheimischen nach vorne gerückt. Unter anderem der Kumbhakarna, im Westen Jannu genannt, mit 7711 Metren zwar „nur“ der 32. höchste Gipfel der Erde, aber mit einer Steilwand von 3000 Metern, die zudem meist von Sturm umtost ist, eine der schwierigsten – die vor allem auch noch nie bezwungen wurde.

In dieser Region lebt der Sherpa Ngada, der als einer der besten seiner Zunft gilt und für viel zu wenig Geld westlichen Bergsteigern behilflich ist, ihre Träume zu verwirklichen. Seine Familie lebt in einer engen Behausung, seine Frau Jomdoe bestellt das Feld, zusammen mit dem Sohn Dawa, der gerade die Schule beendet hat und davon träumt, Arzt zu werden. Doch für seine weitere Ausbildung haben die Eltern kein Geld, Dawa wird wohl oder übel ebenfalls ein Sherpa werden müssen und damit sein Leben ebenso regelmäßig riskieren, wie es sein Vater tat und tut. Doch da naht ein Ausweg: Eine Seilschaft, bestehend aus dem polnischen Bergsteiger Marcin Tomaszewski und den beiden Russen Dmitrij Golowtschenko und Sergej Nilow hat sich angekündigt und fragt nach den Diensten von Ngada und Dawa. Das Problem: Sie wollen als Erste die Ostflanke des Kumbhakarna besteigen, was einerseits eine Entweihung des heiligen Bergs bedeuten würde, andererseits für die Sherpa-Familie so viel Geld bedeutet, dass Dawa seine Träume verwirklichen könnte.

Dies ist die Ausgangssituation von Eliza Kubarskas Dokumentation „Die Wand der Schatten“, die auf den ersten Blick ein wenig inszeniert anmutet, die etwas zu gut in das Muster eines Culture Clash passt, einem Konflikt zwischen östlicher und westlicher Traditionen und Ambitionen, zwischen Arm und Reich. Doch die polnische Regisseurin, die einst selbst Bergsteigerin war, weiß wovon sie redet, kennt beide Seiten und hat vor allem ein Gespür für die jeweiligen Bedürfnisse: Die sportlichen Ambitionen der Westler, die finanziellen Nöte, vor allem aber die mystischen Traditionen der Einheimischen.

Zusammen mit ihrem Kameramann Piotr Rosołowski hat sie majestätische Bilder eingefangen, beobachtet das Leben im winzigen Dorf der Sherpas, dann die Expedition in einen der steilsten Berge der Erde, im Mittelpunkt stehen jedoch stets die Menschen, die Individuen. Das ihr Film mit und bei den Sherpas beginnt und endet, betont schließlich deutlich den Fokus des Films, dem es bei aller überwältigenden Bilder der Berge in erster Linie darum geht, eine traditionelle Lebensweise zu zeigen, die sich den Notwendigkeiten der Moderne anpasst. Denn auch wenn der Kumbhakarna heilig ist: Um die finanzielle Not der Menschen, die an seiner Seite leben, zu lindern, erlaubt sein gutmütiger Gott – so glauben die Einheimischen – das er entweiht wird. Auch wenn im Himalaya der Himmel so nah ist, gelebt wird auch hier eben doch auf Erden und dieses Leben fordert bisweilen Kompromisse.

Michael Meyns