Die wilden Mäuse

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Heldentaten aus der griechischen Mythologie bilden die Grundlage der französischen Animationskomödie „Die wilden Mäuse“, in der eine kleine, von großen Abenteuern träumende Nagerin aus der antiken Stadt Iolkos plötzlich zu einer gefahrvollen Reise aufbricht. Die Macher rund um das Regietrio David Alaux, Éric und Jean-François Tosti haben dabei ein paar schöne Ideen im Gepäck. Je länger der Trip dauert, umso mehr wirkt er jedoch wie ein großes Kuddelmuddel. Das Ergebnis ist zu beliebig, um ehrlich zu berühren und durchgehend zu unterhalten.

Originaltitel: Pattie et la colère de Poséidon
Frankreich 2022
Regie: David Alaux, Éric Tosti, Jean-François Tosti
Drehbuch: David Alaux, Éric Tosti, Jean-François Tosti
Länge: 95 Minuten
FSK: ab 0 Jahren
Verleih/Vertrieb: Plaion Pictures/StudioCanal
Kinostart: 15. August 2024

FILMKRITIK:

Etwas willkürlich erscheint schon der deutscher Verleihtitel. Wo das französische Pendant „Pattie et la colère de Poséidon“, also „Pattie und der Zorn Poseidons“, die Verortung in der griechischen Antike und der Mythenwelt andeutet, bekommen wir hierzulande einen wenig aussagekräftigen, in die Irre führenden Hinweis. Warum von mehreren wilden Mäusen die Rede ist, bleibt nebulös. Denn eigentlich dreht sich der Film in erster Linie um ein einziges Nagetier, Pattie eben. Auf ihrem Weg begegnet sie zwar anderen Artgenossen, die zu Begleitern werden. Eine besonders wichtige Rolle für die Handlung spielen diese aber nicht.

Statt wild passen zur kleinen Protagonistin auch eher die Attribute „abenteuerlustig“ oder „wissbegierig“. Alles, was sie in Büchern über Heldentaten finden kann, führt sie sich mit großem Eifer zu Gemüte, wobei es Pattie besonders Jason und seine Argonauten angetan haben. Einst brachte er von einer Reise das Goldene Vlies mit nach Iolkos, das die Hafenstand seitdem vor Gefahren schützt und ihr Frieden sichert.

Als die Bewohner Zeus zu Ehren eine prächtige Statue errichten, wird dessen Bruder, der Meeresgott Poseidon, von Neid gepackt. Wieso denkt mal wieder niemand an ihn? Schäumend vor Wut klaut er den Menschen und Tieren von Iolkos das Flies und setzt ihnen eine unmissverständliche Deadline: Binnen sieben Tagen müssen sie auch für ihn ein gewaltiges Denkmal bauen, inklusive eines pompösen Dreizacks. Andernfalls wird er die Stadt zerstören.

Einen strahlenden Edelstein, den es für die Waffe Poseidons braucht, gibt es auf der sagenumwobenen Insel Trinaktos. Doch wer ist mutig genug, die Reise dorthin anzutreten? Alle Hoffnungen liegen auf dem mittlerweile greisen Jason. Er und seine behelfsmäßig wiederbelebten Argonauten sind allerdings viel zu klapprig, um allein erfolgreich zu sein. Pattie, die stets für ihre Träume von großen Abenteuern belächelt wurde, hat nun die Chance, sich als Heldin zu beweisen. Gemeinsam mit ihrem Ziehvater Sam, einem vegetarisch lebenden Kater, schließt sie sich Jason und seinen Mitstreitern an.

Zeit und Setting sind spannend, da sie im Animationskino nicht allzu häufig auftauchen. Und unsere Hauptfigur bringt ausreichend Identifikationspotenzial mit. Wer sehnt sich nicht dann und wann nach einem Ausbruch aus dem Alltag, nach besonderen Erlebnissen, Dingen, die man sich gar nicht vorzustellen wagt? Was auffällt: Pattie bricht zum ersten Mal ins Ungewisse auf, macht aber keine richtige Entwicklung durch. Mit ihrem angelesenen Wissen löst sie von Anfang an jedes Problem, weiß fast immer sofort Rat und kommt nie in allzu große Bedrängnis. Auch die Beziehung zu Sam bleibt an der Oberfläche. Der obligatorische Bruch, den es schon zu einem frühen Zeitpunkt gibt, fühlt sich ein wenig erzwungen an. Und die erwartbare Aussprache wird im Vorbeigehen abgehandelt.

Ganz amüsant ist der Gedanke, zwischendurch einen Abstecher zu den Göttern im Himmel zu machen, die Patties Reise auf einer Art interaktivem Spieltisch verfolgen und gelegentlich in das Geschehen eingreifen. Vor allem die männlichen Vertreter machen keinen sehr erhabenen Eindruck, sondern erinnern eher an verwöhnte Kinder, die mit ihrer Zeit nicht viel anzufangen wissen. Vor diesem Hintergrund muss man auch den Wutanfall Poseidons sehen, der einer Trotzattacke gleichkommt und als Auslöser der Handlung irgendwie wahllos anmutet.

Das Abenteuer, dem sich die kleine Maus bereitwillig stellt, wandelt klassische Mythenstoffe und -gestalten etwas ab, hält einige Wendungen bereit, entpuppt sich jedoch mehr und mehr als Sammelsurium unterschiedlichster Versatzstücke. Gesangseinlagen und Popsongs werden unvermittelt eingestreut. Auf Trinaktos taucht plötzlich ein riesiger Roboter auf. Immer wenn es Lacher braucht, werden der eingerostete Jason und seine Skelett-Argonauten ins Bild gerückt. Und wie im Animationsbereich seit langem üblich gibt es fortlaufend Popkulturfutter für die Erwachsenen. Von „Terminator“ über „Manche mögen’s heiß“ bis „Der Pate“ ist alles dabei. Die Krux an der Sache: Viele Anspielungen kommen nur halb so gewitzt rüber wie geplant. Francis Ford Coppolas Gangsterklassiker etwa wurde schon häufig zitiert, unter anderem in Disneys pfiffigem Animationsspaß „Zoomania“ aus dem Jahr 2016.

Sieht man von einigen allzu glatt gestalteten Geschöpfen ab, gibt es bei der Optik wenig zu bemängeln. Die antike Welt erstrahlt in bunten Farben, und manche Elemente, beispielsweise das Fell unserer Heldin, schauen erfreulich natürlich aus. Kaschieren lässt sich damit freilich nicht, dass der Film seine Glaub-an-deine-Träume- und Jeder-kann-ein-Held-sein-Botschaften in eine wild zusammengebastelte Geschichte presst.

Christopher Diekhaus