Die Wildente

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„Die Wildente“ beruht auf dem gleichnamigen Henrik-Ibsen-Schauspiel von 1884. Regisseur Simon Stone, der hier sein Spielfilm-Debüt vorlegt, macht aus dem Stoff ein in die Gegenwart verlegtes, hochemotionales Melodram-Paradestück. Die Figuren durchleiden hier alle Phasen menschlicher Emotionen, was auch enorme Leidensfähigkeit beim Zuschauer voraussetzt. Fast allgegenwärtig ist die beklemmende Stimmung, die wie ein Damoklesschwert auf dem Gezeigten zu Lasten scheint, anhand ausgelassen-stimmungsvoller Momente aber hier und da durchbrochen wird. Die Bilder sind ästhetisch und fein aufeinander abgestimmt, der Cast agiert mit viel Hingabe und leidenschaftlich.

Webseite: www.arsenalfilm.de

Australien 2015
Regie: Simon Stone
Drehbuch: Simon Stone
Darsteller: Paul Schneider, Ewen Leslie, Geoffrey Rush, Miranda Otto, Sam Neill, Odessa Young
Länge: 96 Minuten
Verleih: Arsenal
Kinostart: 27.10.2016

FILMKRITIK:

Nach vielen Jahren kehrt Christian (Paul Schneider) wegen der Hochzeit seines Vaters (Geoffrey Rush)  in seine Heimatstadt zurück. Diese befindet sich gerade in einer Krise, wurde vor kurzem doch das Holzwerk – wichtigste Einnahmequelle der Stadt – geschlossen. In dem Sägewerk arbeitete auch Christians alter Freund Oliver (Ewen Leslie), der nun Existenzängste hat. Rückhalt bekommt er von seiner Familie: Frau Charlotte (Miranda Otto), Tochter Hedvig (Odessa Young) und seinem Vater (Sam Neill). Das Verhältnis zu seinem eigenen Vater ist vor allem deshalb schwierig, da Christian ihm eine Mitschuld am Suizid seiner Mutter gibt. Die Situation unter allen Beteiligten spitzt sich zu, als Christian ein altes Geheimnis heraufbeschwört, das Olivers heile Familienwelt in den Grundfesten erschüttert.

„Die Wildente“ basiert auf dem beliebten skandinavischen Schauspiel gleichen Namens. Dieses wurde 1884 vom Dramaturg Henrik Ibsen geschrieben. Bis heute gibt es eine ganze Reihe filmischer Bearbeitungen des Stoffs, darunter u.a. ein deutscher Stummfilm von 1926. Eine der bis heute bekanntesten Verfilmungen ist eine britische Produktion von 1984, mit Jeremy Irons besetzt. Seine aktuelle Kino-Adaption konnte Regisseur Simon Stone ebenso namhaft besetzen u.a. mit Miranda Otto und Geoffry Rush („The King’s Speech“). Der 32-jährige Simon Stone, aktuell einer der begehrtesten Theater-Regisseure, legt hier sein Spielfilmdebüt vor. 

„Die Wildente“ ist mit einem starken Cast ausgestattetes, ebenso einfühlsames wie wuchtiges Gefühlskino. Die Emotionen des Zuschauers werden nicht zuletzt immer wieder durch eine beklemmende Stimmung der allgegenwärtigen Bedrohung angesprochen, die über dem Gezeigten – und vor allem über der Figur des Christian – zu schweben scheint. Schon früh im Film merkt man ihm an, dass ihn etwas vehement bedrückt. Eine ungeheure, bleierne Last, die auch der Zuschauer deutlich spürt. Christian – ein unter Depressionen leidender Ex-Trinker –  hütet ein Geheimnis, das er jedoch zunehmend schwerer für sich behalten kann, je länger er sich in seiner Heimat aufhält.

Seine Zurückgenommen- und Schüchternheit bricht sich nach rund einer Stunde in einer der intensivsten Szenen auf unerwartete Weise Bahn. Olivers heile Familienwelt gerät dadurch aus den Fugen und die daraus resultierende Kurzschlussreaktion, zeigt Regisseur Stone aus der Perspektive von Oliver. Gefilmt mit Handkamera, die einen hohen Grad an Realismus erzeugt. Die Szene bildet hinsichtlich Optik und Ästhetik dabei aber eine Ausnahme, ist der restliche Film doch durchzogen von ruhigen, stillen Einstellungen und fein durchkomponierten Bildern und Montagen. 

Im Film kommt es aber durchaus auch zu ausgelassenen und freudvollen Ereignissen für die Handelnden, etwa wenn sich Oliver und Christian in ihrer alten Studentenstadt einmal gepflegt volllaufen lassen. In solchen wenigen, aber dennoch hier und da auftretenden und – im wahrsten Sinne – rauschhafter und stimmungsvoller Szenen, geraten die inneren Konflikte für kurze Zeit in den Hintergrund. Hochemotional aber dennoch nie überkandidelt oder überzogen expressiv agiert der komplette Cast. Hier sind besonders Paul Schneider als melancholischer, psychisch zutiefst labiler Christian und Ewen Leslie zu nennen. Leslies Wandlung vom in sich ruhenden, ausgeglichenen Familienmenschen Oliver hin zum leidenden Hintergangenen, der von Wut und Trauer zerfressen ist, ist mitreißend gespielt.

Zuletzt bleibt noch die talentierte Jung-Darstellerin Odessa Young als charismatische, kluge Hedvig zu nennen. Mit großer Leichtigkeit verkörpert sie ein pubertierendes Mädchen mit einem Hang zu Wildtieren sowie einem Faible für einen blond gelockten Jungen aus der Stadt, mit dem sie ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammelt. Im Laufe des Films durchläuft sie quasi alle Stadien der menschlichen Emotionen: von überschwänglicher Euphorie über das pure Glück bis hin zu unermesslicher Trauer und tiefem Schmerz. Dieses Schicksal teilt sie mit nahezu allen Protagonisten im Film.

Björn Schneider