Doch das Böse gibt es nicht

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Im iranischen Berlinale-Gewinner „Doch das Böse gibt es nicht“ geht es um eine Reihe von ganz gewöhnlichen Menschen, die eines gemeinsam haben: Sie wurden und werden zu Entscheidungen sowie Handlungen gezwungen, die sich dramatisch auf das eigene Leben auswirken. Mohammad Rasulofs engagiertes Episoden-Drama ist eine couragierte, unaufdringlich gefilmte Abrechnung mit einem autoritären, unterdrückenden System. Der Film wirft wichtige Fragen auf und überrascht mit vielen Wendungen, auch wenn nicht alle Episoden die gleiche Qualität aufweisen.

70. Berlinale 2020 – Goldener Bär (bester Film)
70. Berlinale 2020 – Gilde-Preis der AG Kino-Gilde
70. Berlinale 2020 – Preis der Ökumenischen Jury

Website: www.grandfilm.de/doch-das-boese-gibt-es-nicht/

Deutschland/Tschechische Republik/Iran 2020
Regie: Mohammad Rasoulof
Drehbuch: Mohammad Rasoulof
Darsteller: Ehsan Mirhosseini, Kaveh Ahangar, Mohammad
Valizadegan, Mahtab Servati, Baran Rasoulof
Länge: 150 Minuten
Kinostart: 19.8.2021
Verleih: Grandfilm

FILMKRITIK:

Der Zuschauer nimmt in vier Geschichten an den Schicksalen unterschiedlicher Menschen im Iran teil: „There is no evil“ handelt von Heshmat (Ehsan Mirhosseini). Er ist ein liebender Vater und Ehemann, der pflichtbewusst seiner Arbeit nachgeht. Doch ist sein Leben wirklich so normal, wie es von außen wirkt? Im Zentrum von „She said, you can do it“ steht der junge Pouya (Kaveh Ahangar). Er hat vor kurzem seinen Militärdienst in einem Gefängnis begonnen. Einen Menschen in den Tod zu schicken kann er sich jedoch nicht vorstellen. In „Birthday“ geht es um den Soldaten Javad (Mohammad Valizadegan) und seine Freundin. Eigentlich steht ein freudiges Ereignis bevor, denn Javad möchte seiner großen Liebe an deren Geburtstag einen Antrag machen. Doch bei seiner Ankunft ist die Stimmung getrübt. Und in „Kiss me“ erhalten der iranische Arzt Bahram (Mohammad Seddighimehr) und seine Frau Besuch aus Deutschland: Bahrams Nichte kommt vorbei. Dort erfährt sie einige unerwartete Dinge über ihren Onkel. Auch, wieso er seinen Beruf nicht mehr ausübt.

Der iranische Regisseur Mohammad Rasulof gewann mit seinem Drama auf der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären für den besten Film. Für Rasulof, der in seiner Heimat mit Arbeitsverbot belegt ist und nicht selbst zur Berlinale anreisen durfte, eine Genugtuung. Denn ebenso sein siebter Spielfilm handelt, wie viele seiner Werke zuvor, vom restriktiven politischen System im Iran, in dem Einzelschicksale wenig zählen und die Bewohner vom Staat zu unmenschlichem Handeln gezwungen werden. Wie in der zweiten Episode, „She Said, You Can Do It“, in der Pouya einen verurteilten Häftling hinrichten soll.

Es ist die stärkste, kraftvollste Episode, in der Rasulof klarmacht: Widerstand und ein „sich wehren“ gegen die Obrigkeit und totalitäre Strukturen sind möglich. An einer Stelle des Films heißt es: „Sagen wir nein, zerstören die unser Leben.“ Doch leistet man den Aufträgen und Befehlen folge, wird das eigene Leben langfristig auch zerstört. Denn man handelt gegen seine eigenen Überzeugungen. Aus diesem Dilemma müssen alle Protagonisten der vier Episoden, die inhaltlich kaum miteinander verknüpft sind, einen Ausweg finden.

Das Thema „Todesstrafe“ ist eines der zentralen Elemente im Film, das – in unterschiedlichen Spielarten und inhaltlichen Abhandlungen – immer wieder auftaucht. Zudem fallen in allen vier Geschichten die elektrisierenden, begeisternden darstellerischen Leistungen auf. Nicht zuletzt in „There is no evil“, in der sich das ganze Drama und die Widersprüchlichkeit im Leben des ehrbaren, stets um das Wohl seiner Mitmenschen besorgten Protagonisten in der Gestik und Mimik von Schauspieler Ehsan Mirhosseini widerspiegeln.

Allerdings lässt sich Rasulof zu viel Zeit, um diese erste Story in Ganz zu bringen. Zwar ist ihr Ende unerwartet und sorgt für Unbehagen, doch bis Rasulof dahin gelangt, vergehen über 40 Minuten, in der nicht allzu viel Spannendes passiert. Zäh, langatmig und bisweilen etwas unausgegoren wirkt der mit 150 Minuten episch geratene „Doch das Böse gibt es nicht“ darüber hinaus noch anderen Stellen. Etwa im letzten Akt, in dem Rasulof obendrein zu viele konstruierte, kalkulierte Zufälle parat hält und mit seinen metaphorischen Entsprechungen eher verwirrt. Etwa wenn ein Fuchs sinnbildlich für das Recht eines jeden Menschen auf Leben steht.

Dennoch besitzt die Geschichte einen der nachdrücklichsten Sätze des ganzen Films: „Wem nutzt die Wahrheit, wenn sie Leben zerstört?“ Dies zeigt, dass selbst in den schwächeren, unausgereiften Momenten und Handlungsebenen des Films oft immer noch etwas Positives hängenbleibt und einzelne Elemente – oder eben Sätze – besondere Beachtung verdienen.

Björn Schnieder