Dora – Flucht in die Musik

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Sie war eine der ersten Komponistinnen Kroatiens und zählt aus heutiger Sicht zu den großen Schöpferinnen klassischer Musik des frühen 20. Jahrhunderts: Dora Pejačević. Doch ihr Name sagt außerhalb ihrer osteuropäischen Heimat nur wenigen Experten etwas. Warum ist das so? Und wer war diese Frau, die sich als Autodidaktin das meiste selber beibrachte? Die biografische Doku „Dora – Flucht in die Musik“ geht diesen und anderen Fragen nach. Eine lehrreiche musikgeschichtliche Reise und aufwendig recherchierte Spurensuche zurück in die Zeit der Jahrhundertwende.

Deutschland, Kroatien 2022
Regie: Tim van Beveren, Kyra Steckeweh
Drehbuch: Kyra Steckeweh, Tim van Beveren

Länge: 117 Minuten
Kinostart: 09. März 2023
Verleih: Barnsteiner-Film

FILMKRITIK:

Dora Pejačević – den Namen der kroatischen Komponistin kennen nur wenige. Und dass, obwohl Pejačević zu ihren Lebzeiten durchaus Erfolge vorweisen kann. So wird etwa ihre Sinfonie op. 41 in der Weltstadt der Klassik, in Wien, uraufgeführt. Und: Pejačević ist umtriebig. Bei ihrem Tod im Jahr 1923 im Alter von nur 38 Jahren hinterlässt sie 58 Werke, davon hauptsächlich Klavier- und Kammermusik, aber auch Kompositionen für Orchester und Vokalisten. Die Pianistin Kyra Steckeweh und der Filmemacher Tim van Beveren begeben sich in „Flucht in die Musik“ auf die Suche nach Antworten. Wer war Dora Pejačević? Wie wuchs sie auf und wodurch wurde sie geprägt?

Van Beveren und Steckeweh befassten sich bereits 2018 in ihrer Doku „Komponistinnen“ mit Künstlerinnen und Kompositionen, die in Vergessenheit geraten waren. Sie hegen also eine große Leidenschaft für dieses Sujet, und das merkt man auch der aufwendig recherchierten dokumentarischen Arbeit „Flucht in die Musik“ an. Steckeweh und van Beveren beginnen ihre Erkundungstour am Grab von Pejačević im kroatischen Našice und arbeiten sich von dort ausgiebig durch das Leben und die Arbeit der Künstlerin.

Sie reisen nach Budapest, dem Geburtsort der Komponistin, weiter nach Dresden (dort lebte Pejačević einige Zeit) und Leipzig. Im Leipziger Gewandhaus beobachtet van Beveren das Orchester beim Einstudieren einiger Werke von Pejačević zur Konzertsaison 22/23. Und ist hautnah Zeuge, wie Pejačević Arbeiten allmählich Eingang in den Spielplan eines der führenden Sinfonieorchester Europas finden –100 Jahre nach der ersten geplanten Aufführung.

Jederzeit deutlich wird die persönliche Hingabe des Regisseurs und von Kyra Steckeweh, die beide als Sprecher aus dem Off durch den Film führen. Steckeweh intoniert einige der zentralen Stücke von Pejačević auf ihrem Klavier und bringt dem Kinobesucher auf diese Weise die Musik einer Künstlerin nahe, die als echte Vorreiterin gesehen werden kann: Sie war die erste Frau, die in Kroatien Orchesterwerke komponierte.

Die Kamera zeigt Steckeweh und van Beveren im intensiven Dialog über die Autodidaktin Pejačević und die Bedeutung ihrer Stücke. Auf diese Weise arbeiten sie sich zu den Emotionen der Komponistin vor. Was könnte in Pejačević beim Komponieren vorgegangen sein? Was hat sie beschäftigt? Wie war ihre gegenwärtige Lebenssituation während der Entstehung?

Dazu beziehen die Macher sehr genau den jeweiligen historischen Kontext und die zeitgeschichtlichen Hintergründe mit ein. So nehmen sie den Zuschauer mit nach Österreich-Ungarn des ausgehenden 19. Jahrhunderts oder zeigen historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Zeit des deutschen Kaiserreichs (frühes 20. Jahrhundert). „Flucht in die Musik“ befasst sich auf diese Weise auch mit der Zeit, den Konventionen sowie vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen, in die Pejačević hineingeboren wurde – und die ihren Charakter maßgeblich prägten.

Das schließt ebenso die Rolle der Frau innerhalb eines Systems ein, das zur Jahrhundertwende nach wie vor stark von der patriarchalischen Familienstruktur dominiert war. Im Hintergrund bei all diesen Betrachtungen aber immer präsent: die Musik von Dora Pejačević, passend gewählt zum Erzähltempo und dem jeweiligen erzählerischen Schwerpunkt. Bild, Inhalt und Ton – Steckeweh und van Beveren verbinden alle drei Ebenen über die gesamte Laufzeit stimmig und besonnen miteinander. Pejačević-Expertin/innen und kundige Interviewpartner bewerten das Werk der Künstlerin und reichern den Film mit spannenden Informationen und Einordnungen an. Darunter die kroatische Musikwissenschaftlerin Koraljka Kos, die Pejačević in den 1980er-Jahren neu entdeckte.

 

Björn Schneider