Dreamers

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Steuern zahlen, aber dennoch keine Rechte haben. Was sich absurd anhört, ist für einen Teil der amerikanischen Bevölkerung traurige Realität: Die sogenannten „Dreamers“, Kinder von Migranten, die einst illegal ins Land kamen, arbeiten, aber dennoch von der Ausweisung bedroht sind. Über sie hat das Schweizer Regie-Duo Stéphanie Barbey und Luc Peter einen sehenswerten Dokumentarfilm gedreht.

Schweiz/Deutschland 2023
Regie: Stéphanie Barbey & Luc Peter
Buch: Stéphanie Barbey
Dokumentarfilm

Länge: 82 Minuten
Verleih: UCM.One
Kinostart: 8. Februar 2024

FILMKRITIK:

Mit neun Jahren kam er in die USA, erzählt Carlos, die Stimme von „Dreamers“, der aus dem Off seine Geschichte erzählt, die exemplarisch für das Schicksal von Millionen steht. 1993 flohen seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern über die Grenze, wollten in den Vereinigten Staaten ihr Glück suchen, den American Dream verwirklichen.

Mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs schlugen sich seine Eltern durch, die Angst, bei einer noch so winzigen Ordnungswidrigkeit ertappt und ausgewiesen zu werden, hing wie ein Damoklesschwert über der Familie, besonders den Kindern. In der Schule wurden sie oft gemobbt, denn wehren konnten, durften sie sich nicht: Auch hier war ihr Aufenthaltsstatus prekär.

Auch zu Hause erlebte Carlos Gewalt, die Eltern trennten sich bald, die Mutter arbeitete 14 Stunden, einer der Brüder musste ins Gefängnis, wurde ausgewiesen. Würde er bei einem erneuten Versuch, die Grenze zu übertreten, erwischt werden, drohen ihm 30 Jahre Haft.

Doch Carlos geht es vergleichsweise gut, als talentierter Football-Spieler hatte er Chance auf eine Karriere, doch erst die Ehe mit einer Amerikanerin machte aus ihm einen Staatsbürger und sicherte seinen Status und sein Leben.

In stimmungsvollen schwarz-weiß Bildern zeigen Stéphanie Barbey und Luc Peter Leben und Leiden von Carlos und anderer Dreamer, unterlegt meist nur mit der Stimme Carlos, manchmal auch mit leicht melancholischen Klängen, die die Absurdität der Situation betonen. Denn auch wenn die Dreamers natürlich streng genommen illegale Migranten sind: Da sie als Kinder oder Jugendliche von ihren Eltern in die USA mitgenommen wurden, kann man sie eigentlich nicht wirklich dafür verantwortlich machen, dass sie illegal eingereist sind.

Mit 18 Jahren, mit der Volljährigkeit, gelten sie dennoch offiziell als Illegale, haben keine Papiere, müssen ständig befürchten, entdeckt und ausgewiesen zu werden. Und das, obwohl die allermeisten von ihnen arbeiten gehen, Steuern zahlen, anständige Leben führen.

„No taxation without representation“- Keine Steuern ohne Repräsentation. So lautete im 18. Jahrhundert der Schlachtruf der amerikanischen Kolonialisten, die damit für eine Loslösung von Großbritannien demonstrierten und letztlich die Unabhängigkeit der USA erstritten. Ganz ähnlich könnte man nun auch über die Situation der Dreamer urteilen und aus diesem Grund versuchte der damalige Präsident Barack Obama, die absurde Situation zu beenden. Der sogenannte DREAM-Act (Development, Relief, and Education for Alien Minors Act), in etwa Gesetz über Entwicklung, Hilfe und Bildung für ausländische Minderjährige, sollte Abhilfe schaffen – und wurde bald von Obamas Nachfolger Donald Trump als gesetzwidrig abgelehnt. So leben an die 2,5 Millionen Kinder von Migranten immer noch in der Schwebe, sind einerseits Bürger der USA, andererseits doch stets von der Ausweisung bedroht. Nur für manche, so wie Carlos in dieser sehenswerten Dokumentation, entwickeln sich die USA wirklich zum Land ihrer Träume, zum Land, in dem sich das Versprechen der unbegrenzten Möglichkeiten zumindest ansatzweise bewahrheitet.

 

Michael Meyns