In der russischen Metropole Moskau leben viele heimatlose Menschen. Vergessen von der Politik, in ärmlichsten Verhältnissen und täglich ums Überleben kämpfend. Hilfs-organisationen gehen von rund 80.000 Obdachlosen aus. Eine von ihnen begleiteten Elsa Kremser und Levin Peter über mehrere Jahre für ihren Film „Dreaming Dogs“. Immer bei der alten Frau: ihre Hunde. Aus dem Blickwinkel der Tiere gefilmt, verhandelt die unaufgeregt und zurückgenommen inszenierte Doku Themen wie Einsamkeit, Abhängigkeiten und das Verhältnis von Mensch und Tier. Mit hochgradiger Sensibilität und Vielschichtigkeit umgesetzt.
Über den Film
Originaltitel
Dreaming Dogs
Deutscher Titel
Dreaming Dogs
Produktionsland
AUT,DEU
Filmdauer
77 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Kremser, Elsa / Peter, Levin
Verleih
Real Fiction
Starttermin
10.07.2025
„Dreaming Dogs“ folgt dieser älteren Frau, die sich Oma nennt, und ihren sieben Hunden durch den Alltag. Sie leben im Schatten der Millionenmetropole Moskaus unter Planen inmitten der Natur. Gemeinsam erkunden sie die umgebende Landschaft, mal auf der Suche nach etwas Essbarem, mal ohne Ziel und aus reinem Zeitvertreib. Die Frau führt ein Leben abseits des Systems – im Verborgenen und nur mit ihren Tieren. Nur hin und wieder kommen andere Obdachlose vorbei und leisten ihr Gesellschaft. Kraft und Zuversicht findet sie in ihren Hunden, um die sie sich mit einer solchen Hingabe kümmert, als wären es ihre Kinder.
Über die Protagonistin geben die Filmemacher Elsa Kremser und Levin Peter nichts Preis. Weder erfahren wir den Namen noch die Vorgeschichte dieser liebenswerten Dame, die ihren geliebten tierischen Begleitern auch schon mal Kosenamen wie „Meine Schöne“, „Püppchen“ oder „Dingolein“ gibt. Sie bleibt, bezogen auf die reinen biografischen Daten und Fakten, zunächst fremd und unbekannt. Ähnlich anonym wie sich ihr gesamtes Leben im Süden Moskaus gestaltet. Versteckt vor den Behörden und abseits der „Leistungsgesellschaft“.
Streifzüge zum Supermarkt oder der nahen Schnellstraße mit den passierenden Autos machen klar: Die Zivilisation und damit der Anschein einer gewissen Normalität und Alltäglichkeit sind nicht weit weg. Dennoch zieht die „Oma“ ein anderes Leben vor, gemeinsam mit ihren Tieren. Und trotz jener Anonymität kommen wir ihr in „Dreaming Dogs“ immer wieder ganz nah. Und das, im wahrsten Sinne, zumeist aus gänzlich ungewöhnlicher, aber exakt passender Perspektive.
Ein Großteil der Geschehnisse sehen wir auf Augenhöhe und aus Sicht der Tiere, gefilmt rund 50 bis 60 Zentimeter vom Boden entfernt. Kremser und Peter setzen mal auf schnellere, hektischere Handkamera-Bewegungen (z.B., wenn die Hunde im Rudel Fährten aufnehmen oder durchs Gras rennen), mal auf ruhige Bilder und Entschleunigung. Der leichte, natürliche Eindruck, der beim Zuschauen entsteht, ist jedoch sorgfältig in Schnitt und Montage durchkomponiert.
Voller Neugierde und Bewunderung folgen die Regisseure den Tieren und der Dame durch ihr Leben, das oft aus nicht viel mehr als gemeinsamer Zeit unter dem Zelt oder am Lagerfeuer besteht. Kremser und Peter gehen rein beobachtend vor und verzichten auf Off-Kommentierung sowie einordnende Hintergrundinfos. Der Wechsel in der Wahl der Einstellungen und Kameraposition sorgt jedoch stets für Varianz und Abwechslung. Der Zuschauer ist bei banalen Beschäftigungen und ganz alltäglichen Begebenheiten im Lager mit dabei, etwa wenn die Oma ihre Kreuzworträtsel löst, die Hunde füttert oder einfach nur schweigend am Feuer sitzt.
Eintönigkeit oder Langweile stellen sich beim Betrachten nie ein. Und das liegt neben der frei schwebenden Bildgestaltung und meditativen Stimmung, die durch das Einfangen dieser stillen Momente entsteht, nicht zuletzt an den mystischen, surrealen Elementen. Traum und Wirklichkeit verschmelzen miteinander, wenn unerwartete, sorgsam arrangierte Bild-in-Bild-Kompositionen zu sehen sind und sich die getragene, rätselhafte Atmosphäre auch auf der Tonspur in Form stimmungsvoller Sounds und Instrumental-Klänge manifestiert. Hinzu kommen beruhigende Naturgeräusche, die man sonst nur aus Entspannungs-Playlisten kennt: Vogelgezwitscher oder das Zirpen der Grillen aus der Ferne.
Im Kern geht es in „Dreaming Dogs“ um universelle Themen wie Überleben, Zuneigung und Liebe, Verlust, Ängste, gegenseitige Abhängigkeiten und wie Mensch und Tier miteinander zusammenleben. Diese Doku findet für alle diese Inhalte, Fragen und Aspekte die treffenden Bilder, Stimmungen sowie dringliche audiovisuelle Entsprechungen.
Björn Schneider