Drecksau

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Vorsicht: Kultverdacht! Wenn ein Roman des schottischen Autors Irvine Welsh („Trainspotting“) verfilmt wird, klingt das zunächst nach einer fast unlösbaren Aufgabe. Immerhin gehören Welshs Geschichten nicht unbedingt zum Mainstream oder sind als leichte Zwischenmahlzeit konsumierbar. Eher trifft schon das Gegenteil zu, wie dieser bitterböse, respektlose und nicht selten herrlich überdrehte Misanthropen-Trip beweist. „Drecksau“ – der Name ist Programm – wartet mit vielen originellen Einfällen, einem tollen 90er-Jahre-Soundtrack und dem bislang eher als Sympathieträger besetzten James McAvoy auf.

Webseite: www.drecksau-derfilm.de

OT: Filth
GB 2013
Regie: Jon S. Baird
Drehbuch: Jon S. Baird nach dem Roman von Irvine Welsh
Darsteller. James McAvoy, Eddie Marsan, Jamie Bell, Imogen Poots, Jim Broadbent, Gary Lewis, John Sessions, Shauna Macdonald
Laufzeit: 94 Minuten
Kinostart: 17.10.2013
Verleih: Ascot Elite

PRESSESTIMMEN:

"Durchgeknallte Drogengroteske im "Trainspotting"-Stil mit einem berserkerhaft agierenden Antihelden."
Cinema

FILMKRITIK:

Dass die Schotten ein eigenwilliges, stolzes und manchmal ziemlich verrücktes Volk sind, ist hinlänglich bekannt. Von „Braveheart“ bis „Trainspotting“ reicht die filmische Auseinandersetzung mit diesem ganz besonderen Fleckchen Erde, das der Welt Männer in Röcken, ein mysteriöses Seemonster und natürlich Whiskey schenkte. In der Literatur zählt Kultautor Irvine Welsh zu den Heiligen seines Landes. Nach der grandiosen Drogengroteske „Trainspotting“ schaffte es nun ein weiterer seiner Romane zu uns ins Kino. Wer seine bitterböse Kriminalgeschichte mit dem eingängigen Titel „Drecksau“ kennt, der wird sich vermutlich wundern, wie es gelang, diese vollkommen enthemmte, zynische, radikale und nicht selten obszöne Aneinanderreihung von Flüchen und Kraftausdrücken in eine filmische Form zu überführen. Regisseur Jon S. Baird („Cass“) hat nicht nur dieses Kunststück vollbracht sondern zugleich mit James McAvoy („Abbitte“) einen ungemein populären schottischen Schauspieler konsequent gegen sein bisheriges Image besetzt.

McAvoy spielt einen misanthropischen, intriganten, drogenabhängigen und depressiven Polizisten, der mit allen Mitteln um seine Beförderung kämpft, die Frau eines Kollegen vögelt und währenddessen Unmengen Kokain konsumiert. Kurzum: Detective Sergeant Bruce Robertson ist ein ziemliches Arschloch. Da fällt es nicht schwer zu verstehen, warum seine Frau (Shauna Macdonald) ihn verlassen hat. Mit der Aussicht auf eine baldige Beförderung hofft er, sie zurückgewinnen zu können. Doch dazu muss er erst einmal den Mord an einem japanischen Studenten aufklären. Das scheint leichter gesagt als getan, wenn man wie er ständig high und auf Psychopharmaka ist. Selbst sein Psychiater (Jim Broadbent) ahnt nicht, mit welchen inneren Dämonen Bruce zu kämpfen hat. Und seinem angeblich besten Freund (Eddie Marsan) spielt er über eine Reihe anonymer Anrufe besonders übel mit.

Es grenzt an ein Wunder, dass man Bruce angesichts dieser Charakterzüge und inneren Abgründe nicht komplett aufgibt sondern bis zur perfiden Schlusspointe, die ganz nebenbei Monty Python zu zitieren scheint („Just remember that the last laugh is on you“), die Treue hält. Mehr noch als das: Baird gelingt es, dass man sich sogar für Bruce mit all seinen miesen Seiten brennend interessiert. Während der Roman nicht genau klärt, ob hierfür eine psychische Erkrankung die Ursache ist, lässt der Film an einer solchen Diagnose keine Zweifel. Bruce ist ein manisch-depressiver Charakter, der längst nur noch unkontrolliert durch sein eigenes Leben taumelt. Dabei erweist sich vor allem die Besetzung als cleverer Schachzug. Einem Sympathieträger wie McAvoy lässt der Zuschauer vermutlich mehr als anderen durchgehen. Hinzu kommt, dass sich der gebürtige Schotte hier die Seele aus dem Leib spielen darf. So gut hat man ihn bislang noch nicht gesehen. McAvoy grimassiert, kotzt, heult, brüllt und randaliert wie ein Berserker. Was sich in einem anderen Umfeld schnell nach Overacting anfühlen könnte, passt perfekt in dieses böse Satirefenster.

So nahm Baird neben typischen Verdichtungen und Kürzungen auch deutliche Akzentverschiebungen auf der Handlungsebene vor. Der bei Welsh stark im Vordergrund stehende Mordfall wird bei ihm zur Randnotiz. Sein Interesse gilt ausschließlich Bruce und dessen emotionaler Achterbahnfahrt. Kaum eine Szene kommt ohne ihn aus. Er ist immer präsent und stets – so scheint es – eine Gefahr für sich und andere. Gelegentlich zeigt er aber auch eine andere Seite, die versteckt hinter Exzessen und Obszönitäten sogar Hilfsbereitschaft und Einfühlungsvermögen erkennen lässt. Dabei arbeitet „Drecksau“ selbst für britische Verhältnisse mit einer durchaus rabiaten Art von Humor. Böse, frech und unangepasst gibt sich Bairds Film, der dem Geist der populären Vorlage trotz mancher Freiheiten bis zum Schluss verbunden bleibt. Mit „Trainspotting“ – der ersten Verfilmung eines Welsh-Romans –teilt er sich nicht zuletzt einen grandiosen Soundtrack, der auch als Zeitreise in die Achtziger und Neunziger bestens funktioniert.

Marcus Wessel