Drei Kilometer bis zum Ende der Welt

Das titelgebende Ende der Welt befindet sich mitten in Europa. Genauer gesagt in Rumänien, auf einer kleinen Insel im Donaudelta. Vor dieser schönen Naturkulisse herrschen hässliche Zustände. Religiöser Fanatismus und korrupte Strukturen bis in die Polizei beherrschen das Bild. Vorurteile bestimmen das Denken. Als ein jugendlicher Schwuler das Opfer brutaler Gewalt wird, wenden sich seine bislang liebevollen Eltern von ihm ab. Der einflussreiche Vater der Täter will das Verbrechen mit allen Mitteln vertuschen. Der mit maximalem Minimalismus eindrucksvoll inszenierte, rigorose Coming-of-Age-Thriller wurde in Cannes prompt mit der „Queer Palm“ prämiert.

 

Über den Film

Originaltitel

Trei Kilometri Pana La Capatul Lumii

Deutscher Titel

Drei Kilometer bis zum Ende der Welt

Produktionsland

ROU

Filmdauer

105 min

Produktionsjahr

2024

Produzent

Parvu, Emanuel

Regisseur

Parvu, Emanuel

Verleih

Salzgeber & Co. Medien GmbH

Starttermin

25.09.2025

 

Ein Meeresstrand im morgendlichen Sonnenlicht des Donaudeltas – so malerisch schön beginnt dieses Coming-of-Age-Drama. Die Postkarten-Idylle erweist sich jedoch schnell als trügerisch. Ein verzweifelter Vater macht sich Sorgen, weil er seine Schulden beim lokalen Bonzen nicht rechtzeitig zurückzahlen kann. Sein 17-jähriger Sohn Adi kehrt brutal verprügelt nach Hause zurück. War die Gewaltorgie ein Denkzettel für den verpassten Zahlungstermin? Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf, ein Arzt untersucht akribisch genau das Opfer – befremdlicherweise in Anwesenheit von Familie und Staatsmacht.

 

Schnell finden sich erste Zeugen der Tat, die aus Angst vor Schwierigkeiten jedoch offiziell lieber schweigen. Die Spur führt zu den Söhnen des lokalen Strippenziehers. Die brüsten sich gerne mit der Tat: „Weil er eine Schwuchtel ist. Weil er in den Arsch gefickt wird!“ – „Sollen wir das so aufschreiben?“, will der Polizist fürs Protokoll von seinem Chef wissen. Die Eltern reagieren auf das Schwulsein ihres Sohnes mit Panik und Unverständnis. „Warum? Warst du betrunken?“, will die heulende Mama wissen. Der sensible Teenager schweigt. Als der herbeigerufene Pfarrer zum Exorzismus schreitet, wird Adi von den religiösen Fanatikern gefesselt und geknebelt. „Wir sollten den Sünder in einem Kloster unterbringen“, schlägt der Gottesmann vor. Als sich eine resolute Dame vom Jugendamt in den Fall einschaltet, scheint eine Wendung der Dinge in Sicht. Doch die Arme des lokalen Bonzen reichen bis zu den Behördenchefs auf dem Festland. Zum Glück kann der von allen Seiten malträtierte Teenie auf die Hilfe seiner besten Freundin zählen.

 

Regisseur Emanuel Pârvu präsentiert ein beklemmend düsteres Porträt seiner Heimat Rumänien. Ein Sumpf aus staatlicher Korruption, religiösem Fundamentalismus sowie aggressiver Homophobie scheint gesellschaftlicher Standard in diesem EU-Land zu sein. Unter solch widerwärtigen Bedingungen ist es für sensible Jugendliche auf dem Land schier unmöglich, ihre Träume von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen. Pârvu setzt in seinem Coming-of-Age-Thriller souverän auf Minimalismus und dramaturgischen Mut zur Lücke. Was Adi mit seinem Bekannten in jener Nacht tatsächlich gemacht hat, bleibt unerwähnt. Ebenso sind die dubiosen Geschäfte des lokalen Bonzen so nebulös wie die Aktivitäten seiner gewalttätigen Söhne. Kafkaesk wirkt die Staatsmacht. Bürokratisch penibel wird für jede Aussage unbedingt eine Unterschrift benötigt, damit sie verwertet werden kann. Derweil finden die ärztliche Untersuchung des Opfers oder Befragungen durch das Jugendamt befremdlich indiskret, gleichsam vor allen Leuten, statt.

 

Als Kontrast zu den chronischen Missständen der Gesellschaft setzt der Film immer wieder die malerische Naturkulisse des Donaudeltas ein. Ein paradiesisch schöner Ort zum Leben, zugleich die Hölle für alle Außenseiter. Von Toleranz und Liberalität fehlt jede Spur in diesen korrupten Clan-Strukturen. Die unaufgeregte Dramaturgie zeigt die kollektive Homophobie als normalen Alltag und macht die Hexenjagd umso beklemmender. Die überzeugenden Darsteller sorgen für zusätzliche Gänsehaut in diesem cineastischen Aufschrei mit Klassiker-Potenzial.

 

Dieter Oßwald

Mehr lesen

Neuste Filmkritiken

ℹ️ Die Inhalte von programmkino.de sind nur für die persönliche Information bestimmt. Weitergabe und gewerbliche Nutzung sind untersagt. Nachdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Filmkritiken dürfen ausschließlich von Mitgliedern der AG Kino-Gilde für ihre Publikationen verwendet werden.