Ein Festtag

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Die französische Regisseurin Eva Husson gibt mit „Ein Festtag“ ihr Debüt im englischsprachigen Film. Sie hat sich ein Projekt ausgesucht, das vom Verlust und der nachhallenden Wirkung desselben erzählt. Es ist die Geschichte eines Dienstmädchens, das Schriftstellerin wird. Ein Film voller Melancholie, vielleicht ein wenig uneins in der sprunghaften Erzählform, aber dafür mit großen Darstellungen gesegnet.

Website: https://tobis.de/

Mothering Sunday
Großbritannien 2021
Regie: Eva Husson
Buch: Alice Burch
Darsteller: Odessa Young, Olivia Colman, Josh O’Connor, Colin Firth
Länge: 110 Minuten
Verleih: Tobis Film
Kinostart: 23.12.2021

FILMKRITIK:

Jane (Odessa Young) ist seit Jahren Dienstmädchen im Haus der Nivens. Am Muttertag, als die Nivens auf ein Picknick gehen, hat sie frei. Waise, die sie ist, muss sie auch keine Mutter besuchen. Aber ihr Freund Paul (Josh O’Connor) hat sie zu sich nach Hause eingeladen. Er ist von hohem Stand, eine Verbindung zwischen ihnen darf niemals sein, doch nun sind seine Eltern auch auf dem Picknick der Nivens. Dort wird seine anstehende Vermählung mit Emma gefeiert. Doch das Schicksal meint es mit ihnen allen anders …

Der Roman von Graham Swift bietet sich nicht unbedingt für eine Verfilmung an. Er lebt von der Introspektive der Hauptfigur, von ihrem Blick auf die Welt. Über weite Strecken geht es um die Gedanken der jungen Frau, die nackt durchs Haus streift, nachdem Paul gegangen ist, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Das ist auch das Zentrum des Films, eine Art erzählerischer Limbus, in dem sie beobachtet, was in einer anderen Welt ihres sein könnte, was ihr aber immer verwehrt bleiben wird. Weil im England des Jahres 1924 jeder in seiner Rolle gefangen ist. Der Stand definiert, wer man ist, und man wird niemals etwas anderes sein. Die Liebe von Jane und Paul, so sie von seiner Seite aus überhaupt eine ist, wird niemals öffentlich ausgelebt werden können.

In prägnanten Momenten zeichnet der Film aber nicht nur ein Bildnis ihrer beider Leben, sondern auch das der Menschen in ihrem Umfeld, die auch allesamt gefangen sind, unfähig, sich über Konventionen und Traditionen hinwegzusetzen. Nur Jane bricht aus.

Die Handlung des Jahres 1924 ist das, was wir durch ihre Augen sehen, als sie beginnt, Jahre später die Geschichte niederzuschreiben. In idealisierter Form, mit Worten, die ausgesprochen werden sollten, es aber nicht wurden. Wir erleben so eine Form der Vergangenheit, die von Janes eigenen Wünschen und Wahrnehmungen geprägt ist. Zugleich sieht man ihr gegenwärtiges Leben an der Seite eines schwarzen Mannes – im England jener Zeit sicherlich auch nicht leicht und entgegen jeder gesellschaftlichen Erwartung. Aber Jane hat sich freigeschwommen. Alles, was sie dazu brauchte, war ein Schicksalsschlag.

Auch davon erzählt dieser Film. Von einem Land, das von alles überlagernder Trauer überschattet wird. Der Krieg hat die Familien ausgedünnt, praktisch jede hat einen oder mehrere Söhne an ihn verloren. Nicht nur das Leben dieser Jungs, auch das ihrer Familien endete auf gewisse Art und Weise. Die Melancholie dieser Gesellschaft, aber auch der einzelnen Individuen ist in jedem Moment spürbar. Sie überzieht den ganzen Film, konterkariert durch die Schönheit der Bilder, die Husson einzufangen imstande ist. Dass der Erzählfluss mit den verschiedenen Zeitebenen, zu denen sich am Ende noch ein Ausflug ins hohe Alter der Hauptfigur hinzugesellt, ein klein wenig holprig ist, mag man angesichts der emotionalen Wucht des Films gerne entschuldigen.

Peter Osteried