Ein Glücksfall

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Eine schöne Überraschung: Woody Allens neuer Film, komplett in französischer Sprache und mit einem französischen Cast gedreht, aber ansonsten mit all seinen bekannten und beliebten Stilelementen, ist Komödie, Thriller und Romanze zugleich: eine Frau zwischen zwei Männern … die klassische Dreiecksgeschichte entwickelt sich zu einem Vexierspiel der augenzwinkernden Verweise auf frühere Filme, aber auch zur gleichzeitig liebenswürdigen und bitterbösen Begegnung mit Liebe, Jazz und Tod – und mit der alten philosophischen Frage, ob der Mensch überhaupt eine Chance gegen sein Schicksal hat.

Originaltitel: Coup de chance
Webseite: https://www.weltkino.de/filme/ein-gluecksfall
Frankreich 2023
Buch und Regie: Woody Allen
Darsteller: Lou de Laâge, Valérie Lemercier, Melvil Poupaud, Niels Schneider
Kamera: Vittorio Storaro
93 Minuten
Verleih: Weltkino
Start: 11. April 2024

FILMKRITIK:

Fanny und Jean sind ein glückliches Ehepaar, gut vernetzt in der Pariser Haute volée, unternehmungslustig und sehr wohlhabend. Zumindest auf den ersten Blick wirkt Fanny rundum zufrieden. Doch der Schein trügt: Jean, der erfolgreiche Geschäftsmann, betrachtet Fanny als seine Trophäe – sie erfüllt repräsentative Verpflichtungen und verleiht durch ihre Schönheit und Eleganz seinen Auftritten Glanz und Glamour. Diese Situation schreit geradezu nach einer Affäre, und so kommt es dann auch: Zufällig trifft Fanny ihren Schulfreund Alain wieder, und zwischen ihnen entwickelt sich eine leidenschaftliche Romanze. Doch Jean ist alles andere als naiv, und zudem scheint es, als ob er in diverse dubiose Geschäfte verwickelt ist.

Was die Stadt New York früher für Woody Allen bedeutet hat, wird hier vom herbstlichen Paris übernommen. Und so ist sein neuer Film auch eine kleine romantische und sehr atmosphärische Hymne an die französische Hauptstadt, an eine Stimmung zwischen Bohème und Reichtum, zwischen Eleganz und Lässigkeit, wobei die sanften Herbsttöne der Stadt immer mal wieder von grellem Rot durchbrochen werden. Sicherlich sind die entsprechenden Assoziationen geplant – sie zeigen etwas von der Raffinesse und von der schicken Ironie, mit der Woody Allen hier seine Story erzählt, die tatsächlich, und das ist fast ein Wunder nach so vielen Filmen, sehr originell ist.

Denn was hier als zunächst harmlose Gesellschaftskomödie daherkommt, entpuppt sich immer mehr und ziemlich unerwartet als hintergründige Schauergeschichte, die dennoch niemals ihren Komödiencharakter verliert. Dabei wird Fannys Mutter Camille, die Valérie Lemercier mit hintergründigem Witz spielt, immer mehr zu einer weiteren Hauptperson: als Hobby-Detektivin, die eigentlich von ihrem Schwiegersohn begeistert ist und sich immer mehr in Gefahr begibt, weil sie ihm nachspioniert. Lou de Laâge spielt die Fanny mit pragmatischem Hausverstand und mit einer coolen Eleganz, die ein wenig an Catherine Deneuve erinnert. Fanny war in erster Ehe war mit einem „Hungerleider“ verheiratet, der wesentlich ältere Jean gibt ihr finanzielle Sicherheit. Für sie geht es in dieser Ehe nicht um Leidenschaft, sondern schlicht und ergreifend um die Kohle. Dass sie tatsächlich von Jean auch so behandelt wird, verletzt sie trotzdem. Bei Alain (Niels Schneider) findet sie, was sie gesucht hat: eine verwandte Seele, einen Mann, mit dem sie sich unterhalten kann und der sie ernstnimmt. So überlegt sie dann auch tatsächlich, ob sie ihren Mann verlassen sollte. Melvil Poupaud spielt den Jean als Unsympathen, der durch seine Glätte und seine ausgestellte Höflichkeit beängstigend wirkt. Er glaubt, dass er alles in der Hand hat und dass sich mit Geld alles regeln lässt. Und da schließt sich der Kreis: In diesem Woody-Allen-Film sind es einmal mehr die Frauen, die eigentlich bestimmen, wo’s langgeht. Ein wenig erinnert Lou de Laâge an die junge Diane Keaton, wie eine modernere Version dieser früheren New Yorker Intellektuellen. Auch sie möchte sich befreien, nur dass sie in einem Goldenen Käfig gefangen ist, den sie sich eigentlich selbst ausgesucht hat. Von diesen kleinen ironischen Kommentaren verbergen sich noch mehr in diesem Film, der deutlich anspruchsvoller ist, als es den Anschein hat. Und außerdem ist er auch noch richtig spannend bis zur buchstäblich letzten Minute.

Inzwischen muss man ja leider bei jedem Woody-Allen-Film denken, dass dies sein letzter sein könnte, doch nach dem eher wenig überraschenden „Rifkin’s Festival“ zeigt der Meister hier noch einmal, wozu er in der Lage ist. Unterstützt von seinem Stamm-Kameramann und Bildgestalter Vittorio Storaro und von einem wiederum großartigen Soundtrack schafft er sehr sinnliche und stimmungsvolle Bilder zu einer für einen alten Herren ziemlich durchgeknallten und gleichzeitig tiefgründigen Geschichte, von der hier nicht allzu viel verraten werden soll.

Gaby Sikorski