Ein gutes Herz

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Der isländische Regisseur Dagur Kári liebt Geschichten in vom wirklichen Leben abgekoppelten Milieus. Er schwört auf schräge Figuren und gescheiterte Existenzen am Rand der Gesellschaft, Eigenbrötler, für die es weder Vergangenheit noch Zukunft zu geben scheint. Und er philosophiert gerne und lässt den Zufall Schicksal spielen. So auch im heiter-melancholischen „Ein gutes Herz“, in dem ein muffiger New Yorker Barbesitzer (Brian Cox) einen obdachlosen jungen Mann (Paul Dano) als seinen Nachfolger aufbaut und nicht weniger als das Leben geschenkt bekommt.

Webseite: www.alamodefilm.de

OT: The Good Heart
USA/Island 2009
Regie: Dagur Kári
Darsteller: Brian Cox, Paul Dano, Isild Le Besco, Stephanie Szoszak, Damian Young, Clark Middleton, Edmund Lyndeck, Susan Blommaert
95 Minuten
Verleih: Alamode Film
Kinostart: 25.11.2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Der eine will nicht mehr, weil das Leben so trostlos ist, der andere kann nicht mehr, weil das Herz immer mal wieder stehen bleibt. So kommt’s, das der Obdachlose Lucas (Paul Dano) nach einem Selbstmordversuch und Jacques (Brian Cox), der griesgrämige Besitzer einer heruntergekommenen New Yorker Kneipe, nach einem erneuten Herzinfarkt eines Tages ein Zimmer im Krankenhaus miteinander teilen. Jacques bietet Lucas eine Bleibe in der Wohnung über seiner Bar an und weiht ihn in die Kunst der Espresso-Zubereitung ebenso wie seine eigenwillige Kneipenphilosophie ein. Letztere anzunehmen fällt dem gutmütigen Lucas nicht immer leicht, schließlich spricht seiner Meinung nach nichts dagegen, ab und an einmal einen Plausch mit einem Gast zu führen. Und wer denn bitte schön könnte schon etwas gegen Neukunden, geschweige denn gegen weibliche Gesellschaft haben? Als Lucas der so unglücklichen wie betrunkenen Stewardess April (Isild Le Besco) begegnet, steht die Freundschaft der beiden Männer schwer auf der Kippe. Mehr noch, als Lucas den Ehrgeiz entwickelt, das versiffte Lokal in Richtung Restaurant zu verschönern.

Jacques und Lucas sind ein ungleiches Paar – und wahrscheinlich ist es nur der Gutmütigkeit und Dankbarkeit des Jungen zu verdanken, dass er sich auf den zumeist übelgelaunten Menschenhasser Jacques überhaupt einlässt und die seltsamen Ansichten und Wünsche des verbitterten Zynikers akzeptiert. Lucas’ bloße Anwesenheit reicht allerdings bereits aus, um umgekehrt Jacques langsam und unmerklich in Richtung eines umgänglichen, weniger misstrauischen Mitmenschen zu verändern. Eines Menschen, der er vielleicht auch früher schon einmal war, bevor ihn das Leben zu einem abstoßenden Egomanen machte.

Diese Entwicklung schildert Dagur Kári, der auch in diesem Film wieder mit seinem Bandprojekt „Slowblow“ melancholische Songs für den Soundtrack beisteuert, mit zumeist trockenem und lakonischem Humor. Dabei sind es nicht allein nur die Gegensätze der beiden Hauptfiguren und das exzellente Spiel des schroffen Brian Cox und des zurückhaltend weichen und sensiblen Paul Dano („Little Miss Sunshine“), die für Amüsement und Nachdenklichkeit sorgen, sondern auch die das Kneipenleben auflockernden Bemerkungen der Stammgäste. Wer sie sind, woher sie kommen, darüber schweigt sich Kàri zwar aus. Ebenso wie die Bar selbst existieren sie losgelöst von Zeit und Spielort, sind Stellvertreter einer sich fremd gewordenen Gesellschaft – auch sie ohne Vergangenheit und Zukunft. Bei ihren Tresengesprächen aber haben sie wenigstens eine Gegenwart. Ohne ihre oft skurrile Erscheinung würde diesem von Außenseitern bevölkerten Film etwas entscheidendes fehlen.

Schon bei seinem vorangegangenen Film „Dark Horse“ (2005), damals gänzlich in schwarzweiß gedreht, wurde Kàris Stil mit dem von Jim Jarmusch verglichen. Diesmal hat der in Aix-en-Provence geborene Isländer noch ein wenig von der spröden trockenen Art eines Aki Kaurismäki beigemischt. Welche Richtung dieser melancholisch-heitere Film trotz seiner wundervollst gefilmten Tristesse am Ende gehen wird – und das ist sein einziger Makel – das lässt Dagur Kàri schon frühzeitig durchschimmern. Trotzdem kommt der Moment der Auflösung so unvermittelt, dass man sich wünscht, die Sache mit dem guten Herzen würde vielleicht doch nur das Ergebnis eines bösen Traums gewesen sein. Gegen das Schicksal selbst aber sind auch die größten Kneipenphilosophen und Lebenskünstler machtlos. Manche bleiben im Spiel, andere nicht.

Thomas Volkmann

Die Geschichte zweier höchst unterschiedlicher Typen, die der Zufall zusammenführt.

Da ist zuerst Jacques, ein schon ältlicher New Yorker Spelunkenbesitzer, der dabei ist, sich zu Tode zu saufen, der nur Stammkundschaft duldet, der in seinem Lokal eigenwilligen Bedienungsregeln folgt, der immer die gleichen Outsider-Kunden hat, der Laufkundschaft hinauswirft, der den besten Espresso herstellt.

Und da ist Lucas, der sich für lebensunfähig hält, der nur seine Katze liebt, der obdachlos ist, der aber das denkbar beste Herz hat, der nach einem Selbstmordversuch ins Krankenhaus eingeliefert wird.

Jacques und Lucas sind Zimmernachbarn, denn ersterer hat soeben seinen fünften Herzinfarkt absolviert.

Da er spürt, dass es mit seinen Tagen bald zu Ende geht, wählt er Lucas zu seinem Nachfolger aus – aber vor allem zuerst zu seinem Lehrling. Lucas muss ab sofort ordentlich frisiert sein, keineswegs zu freundlich zu der Kundschaft – und darf vor allem keine Frauen mitbringen.

Oft genug geraten der schroffe Jacques und der zarte Lucas aneinander.

Die betrunkene, regendurchnässte, aus ihren Diensten entlassene Stewardess Avril taucht auf. Lucas verliebt sich in sie. Die beiden wollen heiraten. Jacques wehrt sich mit allen seinen Mitteln dagegen. Doch es ist es wieder Zeit für den nächsten Herzinfarkt. Jacques muss ins Krankenhaus.

Lucas und Avril übernehmen die Bar, „modernisieren“ sie.

Jetzt ist es Lucas, der wegen Jacques’ schlechtem Vorbild
härter geworden ist, während letzterer seine Denkweise ändert.

Es hätte noch alles gut werden können, wenn nicht plötzlich Tragisches geschehen wäre. Immerhin erfüllt das „gute Herz“ als letztes seinen Zweck.

Ein Musterbeispiel des skurrilen Genres. Vom Dialog her köstlich, von der Figur des Jacques verschroben. Lucas ist das „gute Herz“. Die Sache ist dialektisch aufgebaut, menschlich durchaus ansprechend, ziemlich flüssig in Szene gesetzt, mit Jacques’ Misanthropie auch ein wenig den Zeigefinger erhebend. Alles in allem ein isländisches Vergnügen – zum Schluss unerwartet melancholisch.

Für Brian Cox (Jacques) und Paul Dano (Lucas) Bombenrollen, wirklich animierend gespielt.

Thomas Engel