Die Nordeuropäischen Länder gelten als Nationen, die in Sachen Gleichberechtigung besonders weit voran gehen, doch das war nicht immer so. In Island etwa bedurfte es eines besonderen Tages, an dem die Frauen des Landes streikten, um die Entwicklung voranzutreiben. Der Dokumentarfilm „Ein Tag ohne Frauen“ blickt auf dieses bemerkenswerte Ereignis zurück.
The Day Iceland Stood Still
Island/ USA 2024
Regie & Buch: Pamela Hogan & Hrafnhildur Gunnarsdóttir
Dokumentarfilm
Länge: 71 Minuten
Verleih: rise and shine cinema
Kinostart: 13. März 2025
FILMKRITIK:
Am 24. Oktober findet alljährlich der Tag der Vereinten Nationen statt, denn an diesem Tag wurde 1945 die Weltgemeinschaft gegründet, die sich seitdem mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg für Frieden und Gerechtigkeit unter den Völkern der Erde einsetzt.
Diesen historischen Tag nahmen 30 Jahre später etliche Frauen (und einige Männer) auf Island zum Anlass, selbst Geschichte zu schreiben: Am 24 Oktober 1975 riefen sie zu einem landesweiten Frauenstreik auf, der das einfache Ziel hatte zu zeigen, wie sehr das Land von der weiblichen Hälfte der Bevölkerung abhängig ist.
Heute wäre so ein Frauenstreiktag auf Island wohl nicht mehr so ein dramatischer Moment, heute wären auch viele Männer dazu in der Lage, Windeln zu wechseln oder Essen zuzubereiten, doch vor 50 Jahren sah das selbst auf Island noch ganz anders aus.
Ganz der Zeit entsprechend, lief das Leben auf Island zwar vielleicht etwas progressiver ab als in Westeuropa, von patriarchalischen Strukturen war jedoch auch die kleine Insel im Nordatlantik geprägt: Frauen waren für Kinder und Haushalt zuständig, am besten sollten sie ihrem Mann nur hübsch zurechtgemacht und geschminkt begegnen und ihm brav Kaffee zubereiten. Andererseits arbeiteten auch damals schon viele Isländerinnen, bekamen allerdings für die selbe Arbeit deutlich weniger Gehalt. Und Führungsaufgaben waren ohnehin Männersache, während die Frauen, etwa in Banken, für den profanen Papierkram zuständig waren.
So wie in den meisten Ländern der westlichen Welt begann es jedoch auch in Island Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zu rumoren, die Gleichberechtigung der Geschlechter sollte nicht mehr nur theoretisch, sondern auch praktisch umgesetzt werden. Und so kamen feministische Gruppen auf der Insel auf die Idee, den Männern des Landes einmal zu zeigen, wie wenig ohne die Arbeit und Mithilfe von Frauen funktioniert.
Am 24. Oktober 1975 legten ein Großteil der Frauen Islands die Arbeit nieder und fanden sich stattdessen zu Demonstrationen auf den Straßen der Hauptstadt Reykjavik und anderer Ortschaften ein – mit bemerkenswertem Erfolg. Island zählt inzwischen zu den Ländern, in denen die Gleichberechtigung am weitesten in den Strukturen der Gesellschaft und den Köpfen der Menschen verhaftet ist. Schon 1980 wurde mit Vigdís Finnbogadóttir die erste Frau zur Präsidentin gewählt, aktuell sind 48% Prozent der Abgeordneten des Parlaments Frauen.
Wie es dazu kam zeichnen Pamela Hogan und Hrafnhildur Gunnarsdóttir in ihrem Dokumentarfilm „Ein Tag ohne Frauen“ auf mitreißende, humorvolle Weise nach. Archivmaterial liefert spannende Einblicke, dazu wurden zahlreiche der damaligen Protagonistinnen interviewt, oft auch die Kinder der damaligen Aktivistinnen, die sich mit leuchtenden Augen an den Protest erinnern. Der in den letzten Jahren vergleichbare Aktionen in der Schweiz, Spanien oder Argentinien inspirierte, was bedauerlicherweise nicht zuletzt zeigt, dass trotz aller Fortschritte noch in vielen Ländern Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung notwendig sind.
Michael Meyns